Europa… wie ich doch diesen Kontinent vermisst habe und jetzt wieder mittendrin stecke. Ehrlich, ich stolpere noch immer ein bisschen durch diese alte aber nun wieder neue Welt, welche sich vor mir öffnete als ich vor gut 3 Monaten durch die Schiebetür des Flughafens Gatwick in London ging (lese die Story hier). Nach fast 3 Jahren unterwegs in Asien sowie Nord- und Südamerika, verlernt man anscheinend viele Sachen, welche zu Europa einfach dazugehören. Und jetzt ist es Zeit, wieder zurück in die europäische Gesellschaft zu gehen…
Ich verliess das Haus von David in der Vorstadt von London vor 2 Tagen und rollte die ersten Kilometer über die leichten Hügel bis nach Dover, nahm die Fähre nach Calais in Frankreich, und fand mich somit wieder auf dem europäischen Festland. Meine Heimat ist von hier aus nur noch so ca. 700 Kilometer entfernt! Wahnsinn, so Nahe war ich ja schon lange nicht mehr!
Ein paar Kids mit schweren Schulranzen standen am Rand des Radweges und bereits von weitem vernahm ich das Wort, welches jeder französischer Reisender in gefühlt jedem Satz verwendet: Oh Putain! Da ist es wieder, aber nun nicht irgendwo in Südamerika sondern mitten in Frankreich.
Über mir breitete sich ein weiter blauer Himmel aus, welcher von fast keiner Wolke verdeckt wurde. Die grünen Hügel wurden immer mal wieder von kleinen Bauernhöfen und Agrarflächen unterbrochen, auf welchen sich ein perfektes Muster abzeichnete welches so nur mit Maschinen möglich ist. Ich folgte einem Radweg auf welchem so gut wie kein anderer Verkehr unterwegs war und wenn doch, dann nur grosse landwirtschaftliche Fahrzeuge (welche perfekte Muster in die Agrarflächen pflanzten). Der technische Fortschritt hier gegenüber anderen Gegenden der Welt war unübersehbar. In Peru waren es Esel und Pferde welche mir auf Nebenstrassen entgegen kamen und hier waren es Fahrzeuge mit schweren Motoren und Räder welche über 2 Meter hoch sind.
Die Anzahl an Häuser nahm langsam zu und schon bald rollte ich wieder über Strassen welche mit Autos und Lastwagen beinahe überfüllt waren. Ich kam in die Vorstadt von Lille welche nicht nur durch ihre wunderschöne Altstadt entzückt, sondern auch ein ganz spezielles Geschenk für mich hatte: Meine Mama! Während der ganzen Reise haben wir uns nie gesehen! Aber heute ist es mal wieder so weit. Es ist der 21. Mai 2019, auf den Tag genau 3 Jahre nach meiner Abreise!
Ich blieb zwei Tage in Lille und genoss jede Sekunde zusammen mit meiner Mama und ihrem Partner Peter. Wir fuhren runter an den Strand, assen das beste Essen seit… ähm… sehr sehr langem und ich schlief mal wieder in einem richtigen Hotel, wo man die Dusche nicht mit Kakerlaken und sonstigem Getier teilen musste.
Doch noch war ich hier nur zu Gast, denn die Reise war noch nicht fertig und ich musste noch viele weitere Kilometer in die Pedalen treten, bevor das Rad endgültig entladen wird und ein neues Leben startet. Also hängte ich die Taschen wieder an das Rad, zog alle Gurte fest, verabschiedete mich (ich hasse Abschiede!) und fuhr weiter nach Osten. Schnell fand ich mich wieder inmitten dieser grünen Hügel und auf kleinen Wegen mit Traktoren und praktisch keinen anderen Verkehrsteilnehmern. Aaah so europäische Radwege können schon wahnsinnig schön sein 🙂 Und diese wurden dann noch besser, denn kurz nach der Grenze nach Belgien, wurden diese zu regelrechten Highways auf welchen nur Fahrräder und Fussgänger erlaubt sind. Ein wahrer Traum! Zudem verschwanden auch schon ziemlich bald die letzten Hügeln und die Niederlanden waren schon zum Greifen nah. Ich stoppte kurz in Brüssel um die Stadt anzuschauen, campierte an einem wunderschönen See und fand dann auf einmal eine Stadt die mindestens so schön wie Brüssel war – und nein, ich habe keine Ahnung mehr wie diese hiess 😉
Ich passierte noch kurz Antwerpen mit seinen bereits sehr futuristischen Bauten und den super Radwegen und dann kam auch schon bereits die Grenze zu den Niederlanden, wobei es eigentlich gar keine Grenze war, eher eine Strassenkreuzung bei welcher eine Strasse bereits in den Niederlanden war und der Rest aber noch in Belgien. Aber keinen Grenzposten, keinen Grenzstein, keine Markierung und keine Polizei… nach den teils schwerbewachten Grenzübergängen im Rest der Welt ein sehr ungewohntes Bild, welches aber überaus willkommen ist. Ich fuhr also an dieser Kreuzung in die kleine Strasse die nicht mehr zu Belgien gehörte und war zack bumm bereits in den Niederlanden. So schnell geht’s! Belgien war ein «Gastspiel».
In den Niederlanden Radfahren kann sehr viel Spass machen, wenn man den Wind im Rücken hat, oder aber sehr nerven, wenn dieser von Vorne bläst. Auf den ersten Kilometern hatte ich keines von beidem, denn der Wind war absolut inexistent und so kühlte nur der Fahrtwind ein bisschen. Denn auch an dem Tag strahlte mal wieder die Sonne von einem stahlblauen Himmel auf mich herab und das Thermometer kratzte an der 30-Grad-Marke. In meinem Rückspiegel konnte ich einen schwarzen Punkt erkennen, welcher sich relativ zügig mir näherte. Der schwarze Punkt wurde grösser und entpuppte sich als einen anderen Radfahrer. Plötzlich fühlte ich mich richtig langsam angesichts der Geschwindigkeit des anderen Radfahrers und ich versuchte das Tempo zu erhöhen. Bei diesen Temperaturen eine schlechte Idee und auch absolut unmöglich.
Als der Radfahrer auf meiner Höhe war, bremste er ab und beäugte mit grossen Augen mein Gepäck. Ich beäugte im Gegenzug seine Gestalt, denn beim Radfahrer handelte es sich nicht um einen Radrennprofi oder um einen durchtrainierten Sportler, sondern um einen Greis welcher anscheinend schon lange in Rente ist. Das kann doch nicht sein, dass dieser so viel schneller unterwegs ist als wie ich?! Also betrachtete ich mal das Rad etwas genauer und – aha!: Da steckt doch ein Elektromotor drin!
«You’re cheating» sagte ich zu ihm und zeigte auf seinen Elektromotor. Er begann zu lachen und antwortete in perfektem Deutsch, dass man das mit 86 Jahren durchaus auch darf. Mit 86 Jahren!! So begannen wir ein Gespräch über das Reisen und Radfahren und ziemlich schnell merkte ich, dass ich einen wahren Globetrotter neben mir hatte. Per Autostopp hatte er in den jungen Jahren fast jedes Land auf dem Globus bereist, fährt jetzt jedoch lieber mit dem Fahrrad ein bisschen in der Gegend rum. Jeden Tag die genau gleiche Route mit einem Stopp in der immer genau gleichen Bar wo er den immer gleichen Schnapps trinkt – aber nur ein Glas, denn zwei wären ja ungesund! Er muss es wissen, so fit wie er mit 86 Jahren noch ist… Schnell erreichten wir die Bar und er stoppte für seinen Schnapps. Ich fuhr noch ein paar Kilometer weiter und errichtete mein Camp zwischen ein paar Büschen direkt an einem Kanal. Wenige Tage später erreichte ich Rotterdam wo ich mal wieder einen Warmshowers-Host fand und ein richtiges Bett und Dusche geniessen konnte. Die Geschichte von meinem Host war übrigens auch schon fast filmreif, denn es handelte sich um ein junges Paar, welches sich per Warmshowers vor ein paar Jahren kennen und lieben lernten. Sie ist nun schwanger, verlobt und in ein paar Monaten ziehen sie zurück nach Budapest, dorthin wo sie sich damals kennenlernten. Aaaauw wie schön und ein eindeutiges Zeichen, dass ich mehr Warmshowers machen sollte 😉 Und genau dies tat ich nach dem obligatorischen Sightseeing in Rotterdam, und kontaktierte Wieneke, einen Warmshowers-Host in Amsterdam. Meinem nächsten Stop.
Wieneke antwortete schnell und lud mich sofort zu ihr nach Hause ein. Also packte ich (mal wieder) meine Taschen aufs Rad und radelte über weiterhin perfekte Radwege weiter nach Osten. So schön gemütlich es bei meinem Warmshowers-Host auch war, ich musste weiter, denn noch war ich nur zu Gast.
Amsterdam liegt nur «wenige» Kilometer von Rotterdam entfernt und wäre eigentlich in einem Tag problemlos erreichbar. Aber ich hatte Zeit und fuhr somit einen etwas grösseren Umweg über diverse malerische Dörfer und Schleusen um schlussendlich dem Radweg entlang der Küste folgen zu können. Und was kann ich sagen… es hat sich gelohnt!
Man merkt schnell wenn man in Amsterdam ankommt, denn die Dichte an Menschen (allen voran Radfahrer) nimmt beträchtlich zu, Menschen aus aller Welt mit komischen Sprachen und noch komischeren Klamotten ebenfalls und plötzlich ist man umgeben von schmalen Häusern und Grachten in welchen die Einheimischen (aber auch Touristen) anscheinend ihren Müll, Fahrräder und manchmal auch Autos entsorgen – und über allem liegt der süssliche Geruch von Cannabis. Ach ja und aus kleinen Räumen mit einer grossen Fensterscheibe betrachten spärlich bekleidete Frauen dein Fahrrad…. 😉
Ich fuhr mit Chocolate wieder aus diesem kleinen «Disneyland» hinaus und fand wenige Kilometer weiter das Zuhause von Wieneke. In ihrer stilvoll eingerichteter Wohnung wartete bereits ein komplettes Zimmer inkl. Balkon und riesengrossem Bett auf mich und ich fühlte mich mal wieder wie ein König! An diesen Luxus hätte ich mich glatt gewöhnen können, durfte es aber noch nicht, denn – ganz genau – ich war ja nur zu Gast und noch nicht Zuhause. So kochten wir zusammen Abendessen, quatschen stundenlang übers Reisen, Amsterdam und die Welt und fuhren zwei Tage später zusammen mit dem Fahrrad durchs Umland von ihrer Heimatstadt.
Am späten Nachmittag fuhr sie zurück nach Hause und ich fand ein ruhiger Platz zum zelten in einem verlassenen Waldstück. So schön dieser Platz auch war, er war viel zu weit weg von dem Tagesziel am nächsten Tag. Denn ich hatte eine Einladung von Jaap, dem Onkel von Marteijn mit welchem ich in Mexiko und Ecuador zusammen unterwegs war. Und Jaap wohnte 140 Kilometer weiter östlich, also viel Strecke für nur einen Tag. Aber die Niederlanden sind ja bekanntlich flach und wenn der Wind von der richtigen Richtung weht, dann klappt das schon irgendwie. Und ich hatte Glück! Mit einem Durchschnitt von 24km/h ging es am nächsten Tag über smoothen Asphalt den Kanälen entlang. Radfahren kann so schön sein, wenn einfach alles passt, und da konnte mich auch die gerissene Kette nicht aufhalten. Am späteren Nachmittag erreichte ich das Haus von Jaap, wo mich bereits ein leckeres Abendessen, ein warmes Bett und eine heisse Dusche erwartete. So viel Gastfreundschaft in so kurzer Zeit ist überwältigend!
Jaap ist selber auch Radreisender und hat schon viele Touren in der ganzen Welt gemacht. Unter anderem auch ans Nordkapp, meinem Ziel für Skandinavien. So machte ich mich am nächsten Tag frisch geduscht, ausgeschlafen und mit viel Infos und Tipps auf nach Norden. Aber vorher gibt es noch einen kleinen Abstecher in eine alte Heimat von mir…
Der Grenzübergang nach Deutschland konnte ich mal wieder nur erahnen, war er doch so gut getarnt. Aber irgendwann waren die gelben Nummerschilder weg und leider auch die guten Radwege. Auf Buckelpisten holperte ich mit Chocolate durch die innerstädtischen Bereiche und wurde jedes Mal beschimpft wenn ich doch mal auf die Strasse auswich um den schlimmsten Schlaglöchern zu entkommen. «Wenn es einen Radweg gibt, dann muss dieser auch von dem Radfahrer benutzt werden – egal in welchem Zustand dieser ist», werde ich von einem Fussgänger belehrt. Ein anderer kommt gleich mit «Strassenverkehrsverordnung Absatz….» mehr habe ich nicht verstanden, denn irgendwie hatte ich so gar keinen Bock mich noch länger mit solchen Menschen zu unterhalten. Dafür waren aber die Campingspots umso besser hier:
Ich erreichte nach ein paar Tagen Hamburg. Hier habe ich in meinen «Jugendjahren» mal ein paar Monate gelebt und somit war dieser Stop etwas ganz besonderes für mich. Auch deswegen, weil ich hier auf Freunde traf, welche ich an einem völlig anderen Ort auf dem Globus kennengelernt hatte. So zum Beispiel Torsten und Susanne, welche ich auf einem sehr verkehrsreichen Highway in der Wüste von Arizona in den USA kennengelernt habe. Sie waren damals ebenfalls mit dem Rad unterwegs um den Globus, allerdings in entgegengesetzter Richtung. Als ich ihnen sagte dass ich demnächst nach Hamburg kommen werde, luden sie mich sofort zu sich nach Hause ein und so traf ich Torsten am späten Nachmittag an der Binnenalster, einem der besten Punkten in Hamburg um die Stadt geniessen zu können. Zusammen fuhren wir zu ihm nach Hause, wo ich im Wohnwagen schlafen konnte (seeeehr luxuriös) und feierten unser Wiedersehen mit einem eiskalten Bier. Susanne war noch auf Geschäftsreise und so wiederholten wir das Ganze später nochmals auf der Hamburger Partymeile, der Reeperbahn.
Ich blieb lange in Hamburg… sehr lange – fast eine ganze Woche. In dieser Woche reparierte ich endlich lange geplante Sachen an Chocolate, ersetzte und reparierte diverse Ausrüstungsgegenstände und genoss ganz einfach mal wieder die Vorzüge von dem westlichen Leben, welches ich in den letzten Jahren durch mein Nomadenleben eingetauscht hatte (hier die 5 Sachen welche ich am meisten vermisst habe von Europa).
Nach ein paar Tagen traf ich dann auch noch auf Andreas, welchen ich vor wenigen Monaten in der Wüste Boliviens getroffen hatte und mit welchem ich anschliessend Neujahr gefeiert hatte.
Zusammen gingen wir zu den besten Ecken der Stadt, tranken das beste Bier (und vor allem der besten Schnapps), assen viel zu grosse Kebaps und liessen das Hamburger Stadtleben an uns vorbeiziehen.
Und weil alle guten Dinge Drei sind, traf ich am letzten Tag noch Bea und Manfred, die Eltern meiner besten Freundin aus der Schweiz, welche zufällig zur gleichen Zeit in der Hansestadt weilten. Dieser Zufall hat auf der Reise bereits schon einmal zugeschlagen, nämlich fast zwei Jahren vorher in San Francisco. Damals liefen wir uns ebenfalls zufällig über den Weg, wobei dies eigentlich statistisch gesehen so gut wie unmöglich ist. Aber eben, «it’s a small world!». Wir gingen seeeehr gut essen, bestaunten die Elbphilharmonie und tauschten uns aus über die vergangenen Jahren und das Reisen.
Ein komplett ungeplantes Treffen an einem wunderschönen Sommertag in Hamburg. Es macht das Weiter-Reisen nicht einfacher, aber dennoch musste ich bereits am nächsten Tag mein Rad wieder beladen, Abschied nehmen von meinen Freunden und wieder in die Pedalen treten. Den noch bin ich nur zu Gast und noch nicht Zuhause…
Ein riesiges Dankeschön an dieser Stelle an alle Menschen die mich in dieser Reise unterstützt haben! Ich habe es schon oft gesagt, aber es ist wirklich so…: ohne euch wäre ich niemals so weit gekommen. Vielen Dank an alle die mir eine Spende, Dusche, Bett, Wohnwagen, Platz zum Zelten, ein Essen, eine Flasche Wasser…. und vor allem auch ihre Zeit gegeben haben! Eine Reise ohne euch wäre nicht möglich.
Übrigens: Blogpost waren in letzter Zeit etwas selten. Das liegt daran, dass ich zurzeit in einer Gegend unterwegs bin, in welcher es schlicht nicht so einfach ist einen Platz zum Schreiben zu finden. Zudem habe ich es geschafft mein Handy in eine norwegische Schlucht zu werfen (ooooh ja die Story kommt im nächsten Blogpost ;)). Aber der nächste Beitrag ist bereits in Bearbeitung!