Im letzten Blogpost «Fremdes Zuhause» habe ich es schon etwas beschrieben, wie es sich wirklich anfühlt nach knapp 3 Jahren wieder zurück auf den Kontinent zu kommen auf welchem man aufgewachsen ist. Wie es ist, auf einmal die damals komplett normalen Gegebenheiten mit «frischen Augen» zu sehen. Und dass dies auch nicht immer einfach ist. In diesem kurzen Blogpost geht es aber nicht um die negativen Dingen, sondern um die, welche Europa wunderbar machen und weswegen es sich doch gelohnt hat wieder hierher zurückzukehren – und es sind die kleinen Dinge! Also beginnen wir doch gleich hier:
Moment, wie bitte? Wer benutzt denn heute noch Bargeld? Ja, sorry, ich mache das noch und werde es auch in Zukunft noch so machen. Denn ich finde, dass man nur so noch den richtigen Wert der Dienstleistung erkennt welche man gerade erwirbt. Geld wird für mich erst real, wenn ich es in den Händen halten kann. Schliesslich ist es auch nicht das gleiche ein Buch auf dem Kindle-Reader zu lesen oder als Paperback-Version.
Genau so wie es hier selbstverständlich ist mit einer Plastikkarte für alles zu bezahlen, genau so ist es in vielen Ländern ausserhalb Europas selbstverständlich mit Bargeld zu bezahlen – nur heisst das noch lange nicht, dass auch genügend Wechselgeld in den Kassen vorhanden ist. In Südamerika musste ich oft von Laden zu Laden gehen um Wechselgeld in kleinen Dollar-Beträgen zu erhalten. Und in den abgelegenen Dörfern weit draussen der bolivianischen Wüste war es sogar oft so, dass man auf den Cent genau die Ware bezahlen musste – oder das Rückgeld in Form von Bonbons bekam.
Als ich vor wenigen Wochen in London ankam und mein Frühstück von 4.60£ bezahlen wollte stellte ich schockiert fest, dass ich nur eine 20£ Note in der Brieftasche hatte. Ein so hohes Wechselgeld wäre in Südamerika ein Ding der Unmöglichkeit und würde praktisch nirgendwo akzeptiert werden. Der Koch hat jedoch nicht mal mit der Wimper gezuckt und mir ohne etwas zu sagen das exakte Wechselgeld zurückgegeben. Hört sich für viele jetzt an als wäre es eine völlig normale Situation, für mich war es aber wie ein kleines Wunder.
Okay gehen wir noch ein bisschen zurück an diesem Tag… Mein Flieger landete zur absoluten Unzeit um 03:30 Uhr in London. Völlig verschlafen verliess ich das Flugzeug und musste erstmal auf das Klo. Dort angekommen die erste Überraschung: es war sauber! Und zwar alles und überall. Es stank nicht nach altem Urin oder weiss Gott was, sondern war einfach nur weiss und rein. In der Kabine die zweite Überraschung: da hing ein grosser Plastikkasten an der Wand aus welchem Toilettenpapier schaute. Toilettenpapier! Ein Gegenstand welcher zu unserem täglichen Leben gehört und über welchen wir uns eigentlich nie Gedanken machen. Dass dieser einfache Gegenstand aber in vielen Regionen keine Selbstverständlichkeit ist, musste ich in den vergangenen Jahren täglich erleben. Im asiatischen Raum zum Beispiel gab es oft nur ein mit Wasser gefülltes Becken sowie einen kleinen Becher (und ausserhalb touristischer Orten auch nur Squat-WC’s). Da muss man dann mit 30 Jahren nochmals die Körperhygiene komplett neu erlernen 😉 Und in Südamerika gab es kein Wasserbecken und so gut wie immer auch kein Toilettenpapier. Selber schuld wer nicht selber eines mitgebracht hat…
Also stand ich nun da in der Kabine welche sauber und rein war und sogar über Toilettenpapier verfügte, aber dafür sonst etwas fehlte…: der Abfalleimer. Denn dieser ist dafür im Lateinamerikanischen Raum Standard – schmeisse niemals das Toilettenpapier ins WC oder du verursachst einen kompletten Zusammenbruch der örtlichen Kanalisation 😉 Und der Mensch ist ein Gewohnheitstier… ich ertappe mich noch heute, über einen Monat nach der Ankunft in Europa, auf der Suche nach einem Abfalleimer bevor ich über mein Verhalten schmunzeln muss und das Ding in die Schüssel schmeisse. Ein kleiner aber schöner Luxus, welcher für uns alle selbstverständlich ist: Toilettenpapier!
So normal wie selbstverständlich… wir drehen den Wasserhahn auf, stellen die gewünschte Temperatur ein und geniessen das warme Wasser welches mit einem guten Wasserdruck aus der Brause kommt und dabei auch noch die gleiche Temperatur bis zum Schluss beibehaltet. Nur so einfach war es schon lange nicht mehr…
Asien: Erinnert ihr euch an die oben beschriebene Art von «Toilettenpapier» im asiatischen Raum? Nun der gleiche Becher hat auch ganz oft als «Duschbrause» herhalten müssen da es schlicht nix anderes gab. Oder falls doch, war es meistens ein abgeschnittener Wasserschlauch welcher aus der Wand ragte und aus welchem, ihr erratet es, nur eiskaltes Wasser kam – und dann meistens auch noch mit so einem miserablen Wasserdruck, dass es Minuten dauerte um die Seife wieder abzuspülen (oder das Wasser hat dann komplett abgestellt, wenn man von oben bis unten eingeseift war). In Südamerika waren wiederum die «Suicide-Showers» weitverbreitet. Das kalte Wasser wurde durch einen überdimensionalen Duschkopf geleitet aus welchem diverse Stromkabel herausragten (meistens nur noch ein bisschen mit normalen Klebeband abgedichtet). Im inneren des Duschkopfs sind Heizstäbe welche das Wasser auf eine angenehme Temperatur erwärmen sollten – wenn man nicht vorher durch einen elektrischen Schlag aus der Dusche katapultiert wird. Die Wassertemperatur schwankte dabei normalerweise zwischen eiskalt und höllisch heiss. Eine normale Temperatur einzustellen war praktisch unmöglich, aber da man sowieso damit beschäftigt war zu «überleben» war dies gar nicht mal so schlimm.
Ich kam in London bei meinem Warmshowers-Host (was ist Warmshowers?)David an und durfte dort zum ersten Mal seit fast 3 Jahren wieder eine europäische Dusche erleben… sie war fast so schön wie die Dusche nach einer Woche am Burning Man 😉
Klar, der Punkt musste als Radreisender einfach noch kommen! Denn es gibt von dem Londoner Flughafen Gatwick ein Radweg, welcher bis ins Zentrum Londons führt. Noch besser, es gibt ein Radweg, welcher von London bis hinauf zum Nordkapp führt! Und dies ist nur einer von tausenden europäischen Radwegen! Wir können praktisch in jede Richtung fahren ohne dabei die Strasse mit Autos und Lastwagen teilen zu müssen. Wir können Dank dem EV-Netz sogar den kompletten europäischen Kontinent durchqueren!
Das ist jedoch nicht überall so sondern weltweit gesehen eher Ausnahme. Klar existieren in südamerikanischen Grossstädten auch Radwege, jedoch sind diese entweder in einem miserablen Zustand oder aber mit Autos, Mülltonnen oder sogar Brückenpfeiler blockiert. Rad-Highways wie es sie z.B. in den Niederlanden gibt, sind ausserhalb von Europa absolut unvorstellbar. Ich musste oft auf Autobahnen in Grossstädten hinein fahren und wer schon mal in Mumbai, Bangkok, Mexiko City, Bogota oder La Paz war, weiss von welchem Wahnsinn ich spreche. Der Weg hinein in diese Städte ist wie russisches Roulette – nur dass die Überlebenschance beim russischem Roulette wahrscheinlich noch höher ist.
Ein Fluch und ein Segen gleichzeitig: europäische Supermärkte. Wiese sie ein Fluch sind sage ich im zweiten Teil, wenn es um 5 Dinge geht welche Europa unausstehlich machen. Nun aber das schöne an europäischen Supermärkten…
Die Auswahl ist gigantisch! In einem Supermarkt in London habe ich tatsächlich ein ca. 60 Meter langes Regal gefunden mit Tee…. Tee! Nur Tee! Und daneben ein weiteres Regal mit nur Nudeln! Europäische Supermärkte haben nicht nur alles, sondern von allem auch noch zig verschiedene Ausführungen und Hersteller und Preisklassen und und und… Dazu kommt, «zuhause schmeckt es am Besten», sprich in europäischen Supermärkten findet man die Lebensmittel welche man kennt und welche man benötigt um das Essen «von Zuhause» zu kochen. Als ich das erste Mal durch die Regalen eines europäischen Supermarktes ging, sah ich auf einmal hunderte von Menüs die ich auf dem kleinen Benzinkocher zaubern könnte. Ein Luxus eine solche Auswahl zu haben, denn in vielen anderen Ländern sieht es anders aus… in Bolivien war ich beispielsweise mal überglücklich eine nur halbverfaulte Zwiebel zu finden (welche dann aber auch 5 Tage halten musste) und in Zentralamerika musste ich mich täglich entscheiden zwischen Reis und Bohnen oder Pasta ohne Tomatensauce… Klar in manchen Regionen lohnt es sich auch gar nicht selbst zu kochen da die Restaurants günstiger sind und es diese an jeder Strassenecke gibt. Aber wenn man auf einen Supermarkt angewiesen ist, dann gibt es nichts besseres als wie einen europäischen Supermarkt!