Je weiter nach Süden man kommt, umso niedriger werden die Anden zwischen Argentinien und Chile. Anfangs, vor ungefähr 3 Monaten, als ich das erste Mal über die Anden kletterte um nach Argentinien zu kommen, ragten diese noch weit über 6000 Meter hinaus. Und ein paar Wochen später, als es wieder zurück nach Chile ging, fuhr ich sogar am höchsten Berg Südamerikas vorbei (Aconcagua, zu lesen hier). Und jetzt fahre ich mal wieder auf einem Schotterweg in ziemlich fragwürdigen Zustand durch die Anden, auf dem Weg zur Grenze Chile’s. Der Weg ist genau so wie ihn die Locals in Trevelin, dem letzten Dorf auf argentinischer Seite, beschrieben haben – todo ripio, alles Waschbrett, alles voll Schlaglöcher, alles besser im 4×4 als wie auf dem 2×1… also Fahrrad 😉
Aber…! Aber obwohl ich hier durch die Anden fahre, fehlen irgendwie die Anden. Denn es sind so gut wie keine Bergen mehr vorhanden hier unten! Die Kiesstrasse schlängelt sich zwar durch etwas höhere Erhebungen, jedoch kann man diese nicht wirklich als „Berge“ bezeichnen. Sie überragen mich vielleicht um maximal 500 Höhenmeter, während ich selber auf nur ungefähr 600-700 Höhenmeter unterwegs bin. Die dünne Luft und Mondlandschaft im Norden des Landes ist verschwunden und macht nun einem undurchdringlich scheinenden Wald Platz. Ein kleiner Bach plätschert sich rechts von mir seinen Weg nach Osten, direkt in die Pampa. Dort können sie das Wasser auf jeden Fall gut gebrauchen! Das dunkelblau von dem Fluss ist der einzige Farbkontrast in der sonst sehr grünlastigen Landschaft. Wo man auch hinschaut, nur Wälder, hohes Gras und noch mehr Wald. Eigentlich muss ich hier sagen „endlich grünlastig“, denn nach Monaten in der langweiligen trockenen gelb-beigen Pampa, ist diese Gegend mit seinem vielen Wasser und der tiefgrünen Vegetation ein wahrer Traum.
Ein Traum zum wildzelten. Hier kann man Abends endlich mal wieder sein Zelt direkt an einem glasklaren und eiskalten Bergbach aufstellen, im Schatten eines Baumes, weit entfernt von jeglicher Zivilisation und auf die Hügel schauen, welche eigentlich die majestätischen Anden darstellen. Und genau so wird es in den kommenden Tagen auch bleiben, denn ich stehe kurz vor der legendären Carretera Austral, der über 1000 Kilometer langen Strasse welche die am abgelegensten Dörfer im Süden Chiles an den Rest des Landes anschliessen. Erst 1976 wurde diese Strasse unter der Herrschaft von Pinochet gebaut – davor waren die Städte und Dörfer in dem Teil von Chile nur per Flugzeug erreichbar! Unter Overlanders, also Überland-Reisenden, hat die Carretera Austral einen legendären Status, denn sie hat bis heute praktisch nichts von ihrem abenteuerlichen Charakter verloren und führt zudem an zahlreichen landschaftlichen Highlight vorbei.
Und für mich beginnt das Abenteuer Carretera Austral direkt hinter diesem Schlagbaum. Denn mittlerweile habe ich den Grenzposten von Argentinien erreicht, welcher eher aussieht wie das alte Pfadiheim, in welchem ich in den jungen Jahren das Pfadfinder-Handwerk lernen durfte. In Europa würden wir dazu Bruchbude sagen… oder ein Abbruchobjekt. Aber hier handelt es sich um ein offizielles Staatsgebäude vor welchem die blau-weisse Argentinische Flagge weht. Den Ausreisestempel habe ich schnell im Pass – Argentinien ist nie das Problem in Sachen Grenzkontrolle, ihr Nachbar jedoch schon. Der „Ripio“ begleitet mich noch bis exakt zur Mitte zwischen den beiden Grenzposten und wechselt dann abrupt auf smoothen flachen Asphalt – Willkommen in Chile! Nun kommt der schwierige Teil des Unterfangens. Die chilenische Grenzkontrolle. Denn während in Argentinien der Pass nur mit einem halben Auge kontrolliert wird, werden in Chile sämtliche Taschen bis zu den Grundbestandteilen auseinandergenommen und zigtausende Formulare ausgefüllt bis endlich der ersehnte Stempel in den Pass gedrückt wird. Nur eine knappe Stunde später, und einem chilenischen Stempel mehr in meinem Pass, rolle ich endlich weiter auf dem smoothen Asphalt bis zur ersten Ortschaft Futaleufú, was übrigens „grosser Fluss“ bedeutet. Und genau diesem Fluss folge ich dem nächsten Tag bis die Strasse in der Ortschaft Villa Santa Lucia in einem Katastrophengebiet verschwindet. Eigentlich sollte die Strasse hier auf die Carretera Austral treffen, jedoch ist davon nur noch wenig zu sehen. In Santa Lucia reihen sich Häuser an Häuser bis zu einem grossen dunkelbraunen schwarzen Nichts – dort wo bis vor knapp 1.5 Jahren eigentlich mal die Häuserreihe weiter nach Norden ging. Damals hatte sich ein massives Stück eines nahen Gletschers abgelöst und eine dadurch ausgelöste Schlammlawine hat nahezu alle Häuser im Norden der Ortschaft zerstört (mehr Infos dazu hier). Die Strasse ist mittlerweile wieder geöffnet, bis jedoch die Gegend wieder aufgebaut ist, kann es locker noch Jahre dauern. Und es fühlt sich nicht gut an in einem Katastrophengebiet unterwegs zu sein. So kaufe ich in dem Ort nur die nötigsten Lebensmittel ein und mache mich auf nach Süden um nun endlich der Carretera Austral bis zu ihrem Ende in Villa O’Higgins zu folgen. Wie gesagt ist die Strasse ein Highlight und führt auch an zahlreichen vorbei. Also gibt es hier weniger Text, dafür mehr Bilder:
Der Winter ist mittlerweile angekommen. Ich sitze mit anderen Reisenden im Aufenthaltsraum / Küche des Hostels und draussen vor dem Fenster tanzen einzelne Schneeflocken. Die Berge welche das kleine Dorf Villa O’Higgins umgeben sind bereits ganz weiss und evtl. werden sie das auch bleiben für die nächsten Monaten, bis der Frühling wieder Überhand nimmt. Ich bin hier bereits seit 3 Tagen und warte auf besseres Wetter.
Denn von hier aus geht es nur noch per Schiff weiter, und dieses kann erst fahren wenn sich das Wetter da draussen etwas beruhigt hat. Villa O’Higgins ist die südliche Endstation von der Carretera Austral, das wahrscheinlich abgelegenste permanent bewohnte Gebiet von Chile und das fühlt man auch jeden Tag wenn man in den örtlichen Supermarkt geht. Früchte und Gemüse gibt es nur einmal pro Woche und wenn dann mal was da ist, bezahlt man für eine einzelne Zwiebel schon mal mehr als einen Dollar. Auch die Unterkünfte hier sind nicht ganz billig. Dafür aber bekommt man absolute Ruhe und einen einzigartigen Sternenhimmel – wenn sich dann mal die Schneewolken verziehen. Es wird definitiv Zeit Ushuaia zu erreichen, denn in den nächsten Wochen wird es nur noch kälter.
Einen Tag später fahre ich mit Aaron endlich die letzten Kilometer der Carretera Austral, raus aus Villa O’Higgins und hinunter zum Hafen. Das Wetter hat endlich so weit aufgeklart, dass der Kapitän eine Überfahrt zum letzten Aussenposten Chiles wagt, 3 Stunden weiter südlich am Ende dieses Sees. Dieser Aussenposten ist auch gleichzeitig der Grenzübergang nach Argentinen. Von hier aus führt eine Schotterstrasse hinauf auf einen kleinen Pass, von wo aus dann ein Trampelpfad auf argentinischer Seite wieder hinunter zum Lago del Desierto führt. Dutzende, wenn nicht hunderte Radfahrer queren hier die Grenze jährlich und trotzdem ist diese Grenzüberquerung ein wahrer Alptraum – also eine Grenzerfahrung 😉 Wieso, dazu kommen wir gleich.
Die ersten zwei Stunden auf dem Schiff sind noch gemütlich. Dann jedoch verschwindet die massive Felswand auf unserer rechten Seite und macht dem offenen Gewässer nach Westen hin Platz. Nun bläst der Wind mit Sturmstärke und trifft uns direkt seitlich. Die Wellen werden grösser und das Schiff neigt sich nun gefährlich stark nach links. Über eine Stunde lang sind wir der Gewalt der Natur ausgeliefert, bevor das Schiff endlich den kleinen Hafen erreicht und wir unsere komplett durchnässten Bikes über die Reling auf sicheren Boden tragen können.
Von hier aus führt ein Schotterweg bis zum Grenzposten wo uns bereits ein paar gelangweilte Grenzbeamte zusammen mit neugeborenen Kätzchen erwarten. Während ich auf den Stempel warte, schlafen drei nur wenige Zentimeter grosse Kätzchen in meinem Schoss. Oooooh wie süss!!
Mit einem Stempel mehr im Pass geht es anschliessend endlich zu der berüchtigten Überquerung nach Argentinien.
Bis zum Bergpass ist noch alles gemütlich, wenn auch etwas nass. Aber der Schotterweg ist in erstaunlich gutem Zustand. Nach etwas mehr als einer Stunde überquere ich die Landepiste von dem zum Grenzübergang gehörigen Flughafen und dann endlich erscheint die alte verrostete Tafel welche mich in Argentinien willkommen heisst.
Nun gut, dass ich ab hier auf argentinischem Boden bin, hätte ich auch anhand von der abrupten Änderung des Weges gemerkt. Der Schotterweg ist vorbei und macht nun einem nur wenige Zentimeter breiten Pfad platz. Büsche ragen links und rechts davon in die Höhe und machen ein Durchkommen mit dem Fahrrad inklusiver Packtaschen zu Herausforderung. Immer wieder bleibe ich mit den vorderen Packtaschen daran hängen und entschliesse mich somit, diese besser zu tragen. Kurz danach kommt das Wasser dazu. Der Pfad führt in ein völlig überflutetes kleines Becken, welches mit trockenen Füssen unmöglich ist zu durchqueren. Also Schuhe aus und barfuss in die eiskalte Brühe hinein. Der Schmerz fühlt sich an wie tausende kleine Nadeln. Dazu kommt Schneeregen von oben. Dreimal muss ich diesen Sumpf durchqueren bis endlich das Fahrrad inklusive aller Packtaschen auf der anderen Seite ist. Endlich kann ich wieder die mittlerweile vom Schneeregen völlig durchnässten Socken anziehen und in die ebenfalls nassen Schuhe schlüpfen. Langsam kommt das Gefühl in den Füssen zurück und ich schiebe das Fahrrad weiter dem Trampelpfad entlang. Nach wenigen Metern kommt auch schon bereits der nächste Fluss, welcher überquert werden muss. Also wieder die Schuhe ausziehen, wieder das Gepäck abladen und wieder hinein in das eiskalte Wasser, nur um kurz danach wieder in die nassen Socken und Schuhen zu steigen und wieder ein paar Meter das Rad zu schieben. Ein paar Meter bis zur nächsten Flussüberquerung.
Für die etwas mehr als 10 Kilometer bis zum Grenzposten auf argentinischer Seite benötige ich über 6 Stunden und komme komplett durchnässt und durchgefroren kurz vor dem Sonnenuntergang an. Die Grenzbeamten beäugen mich und mein Equipment mit kritischem Blick und fragen ob sich noch weitere Reisende auf dem Trail befinden. Ich kam schlussendlich gleichzeitig mit allen anderen Reisenden beim Grenzposten an und kann somit diese Frage mit gutem Gewissen mit Nein beantworten. Der Beamte ist sichtlich erleichtert und schenkt mir ein kleines Lächeln. Der Stempel ist kein Problem, jedoch fährt heute kein Schiff mehr über den See bis zur nächsten Ortschaft. Ich kann direkt vor dem Haus campen, oder aber mit den anderen Reisenden zusammen im Refugio schlafen. Aufgrund der Temperaturen und den nassen Klamotten fällt uns allen die Entscheidung leicht und so trocknen wir unser Hab und Gut nur kurze Zeit später vor dem Ofen in dem Refugio.
Mit jeder Minute mehr erwärmt das Feuer ebenfalls auch die Hütte und so langsam tauen wir wieder auf und können endlich unser wohlverdientes Abendessen gemeinsam in der kleinen Küche kochen. Auf meinem Computer wollen wir anschliessend den Abenteurer-Klassiker „into the wild“ schauen, jedoch verabschiedet sich nach wenigen Minuten der Memorystick auf welchem der Film gespeichert ist. War wohl doch etwas sehr schlechtes Wetter heute. So gehen wir frühzeitig und völlig erschöpft nach einem absoluten Höllentag ins Bett, welches hier aus mit Stroh gestopften Matratzen besteht – keine Bettdecke, kein Kopfkissen. Immerhin ist es mittlerweile warm in der Hütte. Naja zumindest solange das Feuer noch brennt… also noch maximal 1.5 Stunden…. Gute Nacht!
Durch das Fensterglas kann ich dutzende Guanacos beobachten welche im starken Wind Patagoniens durch die Pampa streifen. Hier im Haus drinnen ist es windstill – zum Glück! Denn mit diesem musste ich heute wie aber auch in den vergangenen Tagen immer wieder kämpfen. Windstärken von über 80km/h sind hier keine Seltenheit, sondern gehören zum Alltag wie der Kaffee zum Frühstück… zumindest bei meinem Frühstück. Gut wenn man diesen im Rücken hat, schlecht wenn er von vorne bläst. Ich hatte ihn von allen möglich Seiten. Damals als ich aus dem touristischen Dörfchen El Chalten rausfuhr, blies er von hinten und schickte mich mit über 30 Sachen durch die Pampa, vorbei an ausgedörrten Büschen und verwirrt reinschauenden Guanacos (was sind eigentlich Guanacos??).
Nur einen Tag später schob ich mein Fahrrad im Gegenwind, also eigentlich eher Gegensturm, in die Stadt El Calafate. Und heute befinde ich mich einen Tag ausserhalb von El Calafate, fast 100 Kilometer entfernt vom nächsten Haus (nein nicht Stadt oder Dorf! Ich meine wirklich ein einzelnes Haus!). Hier draussen weit entfernt von jeglicher Zivilisation steht eine verlassene Polizeistation, welche noch komplett intakt ist und seit ein paar Jahren Radfahrern als Schutzhütte dient.
Die vielen Beschriftungen an der Wand erzählen die Stories von unzähligen Abenteurern aus allen Ecken der Welt, welche eine oder sogar zwei Nächte hier draussen verbracht haben. Einer hat sogar einen Grundriss von dem Gebäude gezeichnet und den verschiedenen Räumen Namen gegeben! Ich schlafe heute in der „Patagonia Loft“! Dieser Raum hat Fenster vom Boden bis zur Decke und einen staubigen Schreibtisch auf welchem ich sogar noch alte Protokolle gefunden habe (Jose M. aus E., wenn du das hier liest, bezahl doch mal noch deine Parkschulden 😉 ).
Die Guanacos haben mich bemerkt und laufen nun in westlicher Richtung weg. Also ist mein „TV“ somit weg und es wird Zeit sich in der kleinen Küche etwas Essen zu kochen. Also natürlich auf dem Benzinkocher, denn natürlich ist bis auf einen Tisch und ein paar Schränken nichts mehr vorhanden. Ob es nicht gruselig ist so ganz alleine in einem verlassenen Gebäude mitten in der argentinischen Wüste zu sein? Ja… und aber auch Nein. Man gewöhnt sich einfach irgendwie daran. Am Anfang dieser Reise hätte ich so etwas auf jeden Fall nie machen können. Mittlerweile ist es einfach komplett normal geworden, und mit dem starken Wind welcher draussen weht getraut man sich dann auch automatisch etwas mehr. Und sowieso… der Mörder mit der Kettensäge gibt es nur in schlechte Hollywood-Streifen.
Nach ein paar Tagen Radfahren in der Pampa erreiche ich einmal mehr die argentinisch/chilenische Grenze. Zum vierten Mal auf dieser Reise geht es zurück nach Chile – und dies ist das letzte Mal.
Die Einreiseprozedur kenne ich komplett auswendig und lasse sie gelassen über mich ergehen. Dieses Mal erhalte ich sogar noch einen Einfuhrzettel für Chocolate! Das gab es seit der Einreise nach Chile von Bolivien aus nicht mehr. Eine gut asphaltierte Strasse führt mich zurück zur Küste und zur Ortschaft Puerto Natales. Dieses Dorf ist der Ausgangspunkt für Wanderungen in dem nahegelegenen Nationalpark Torres del Paine. Eigentlich ein absolutes Muss, wenn man sich schon mal so weit in den Süden gewagt hat. Nur interessiert das nicht der Winter, welcher knapp hinter meinem Hinterrad lauert und mich schon seit Wochen verfolgt. Es wird kalt hier… verdammt kalt!
Nach einem Ruhetag fahre ich am frühen Morgen aus dem noch schlafenden Dorf hinaus zurück in die Pampa. Über den Häusern rauchen hunderte kleine Schornsteine und bilden eine dunkelgraue Wolke über der Ortschaft. Die Temperatur liegt irgendwo knapp über dem Gefrierpunkt. Ich lasse die Rauchwolke über dem Dorf hinter mir wie auch das letzte Haus. Nun gibt es mal wieder für eine sehr lange Zeit gar nichts mehr. Die Strasse führt als schnurgerade Linie durch die karge Landschaft weiter nach Süden. Die letzten Kilometer Strassen in Chile, diesem langgezogenen Land Südamerikas, welches ich nun fast komplett von Norden nach Süden durchquert habe.
Abends erreiche ich eine weitere verlassene Bruchbude, in welchem bereits Alex und Flo, ein französisches Radfahrer-Pärchen, ihre Zelte aufgeschlagen haben. Wir fahren am nächsten Tag zusammen weiter und kämpfen uns gemeinsam über die windigen Ebenen der chilenischen Pampa. Am nächsten Abend erreichen wir eine Estancia – ein kleiner Weile welcher nur aus ein paar wenigen Häuschen besteht – und dürfen in einem leerstehenden Schuppen übernachten. Zu unserem Glück steht sogar ein Holzofen darin und nachdem wir in guter Gringo-Manier den ganzen Laden einmal komplett von unten bis oben eingeraucht haben, finden wir auch tatsächlich den Hebel um den Rauchabzug zu öffnen. Nun können wir nicht nur die sich allmählich ausbreitende Wärme geniessen, sondern auch gleich die Oberfläche als Kochplatte.
Ich fahre auch die nächsten Tage mit Flo und Alex weiter und erreiche Punta Arenas, die südlichste Stadt Chiles. Wir vergnügen uns in der Duty Free Zone, welche wie eine eigene Stadt ausserhalb Punta Arenas liegt und selbst Besucher aus Santiago anzieht. Wir fragen uns ein bisschen wieso, denn aufgrund der Lage der Stadt (Am Arsch der Welt (oder am Busen der Natur… Ansichtssache)), sind die Produkte ungefähr gleich teuer wie in der Hauptstadt Santiago, auch wenn keine Steuern darauf erhoben werden.
Nach einem Ruhetag fahren wir früh am Morgen in kompletter Dunkelheit zum Hafen der Stadt und setzen mit der Fähre hinüber nach Tierra del Fuego, die Feuerinsel im äussersten Süden von Südamerikas.
Die Insel ist quasi das Ende der Welt… danach kommt nur noch die Antarktis. Und das merken wir jetzt auch ziemlich deutlich. Denn trotz starker Sonne (das Ozonloch liegt jetzt ziemlich genau über unseren Köpfen) müssen wir mindestens eine dicke Jacke und Pullover tragen – und das obwohl wir mit unseren 60kg schweren Fahrrädern schon sehr gut Sport machen und eigentlich ins Schwitzen kommen sollten. Dank Rückenwind fliegen wir quasi über die 100 Kilometer Schotterstrasse – die letzte Schotterstrasse in Südamerika – nach Osten und erreichen kurz vor Sonnenuntergang die Kreuzung von wo aus es auf einer asphaltierten Strasse bis nach Ushuaia geht.
In einem kleinen Holzhäuschen am Strassenrand finden wir Schutz vor dem Wetter und ziehen alle Klamotten an, welche sich in unseren Packtaschen befinden. Das Kochen wird bei so einer Temperatur zur Herausforderung und wir sind froh als wir uns endlich in unsere dicken Schlafsäcken mummeln können.
Am nächsten Morgen warten wir auf die ersten Sonnenstrahlen… und warten… und warten… und warten. Dann endlich, kurz nach 9 Uhr scheinen endlich die ersten wärmenden Strahlen auf das Dach des kleinen Holzhäuschen. Ja, es wird definitiv Zeit Ushuaia zu erreichen.
Und an diesem Morgen zeigt uns ein Schild am Strassenrand endlich die verbleibenden Kilometern bis nach Ushuaia an. Es ist schon ein sehr komisches Gefühl wenn man über 2 Jahre lang diese Ortschaft nur als kleinen Punkt am südlichsten Ende der Karte wahrgenommen hat, und dann auf einmal den Namen auf einem Strassenschild lesen kann – Ushuaia, 265km!
Wir überqueren noch einmal die Grenze, dieses Mal zurück nach Argentinien und stehen dann auf einmal vor einer Wand aus Wasser – der Atlantik! Zum ersten Mal auf dieser nun fast dreijährigen Reise stehe ich am Ufer des Atlantiks. Von nun an folgt jeder Tag ein Highlight… Alex geht verloren in einer Herde von Schafen welche die Strasse queren, wir rutschen eines Morgens über vereiste Strassen bei -10 Grad, wir verbringen eine Nacht in einer Backstube und fressen uns mit süssen Leckereien so voll dass wir uns kaum mehr bewegen können, an einem kleinen See machen wir ein Lagerfeuer und freuen uns darüber wie Tom Hanks in Cast Away, wir schlafen wir in verlassenen Cabanas von welchen aus wir auf die verschneite Landschaft blicken können und fahren schliesslich über den letzten Pass von Südamerika hinein in die südlichste Stadt der Welt, dem Ende der Strasse, welcher ich nun fast 2 Jahre lang gefolgt bin…
Und dann steht sie da. Einfach so. Als wäre es das normalste auf der Welt. Sie verfolgt mich schon seit Jahren, ja schon länger als wie ich auf der Strasse bin. Auf unzähligen Bildern auf Instagram, Facebook, News-Webseiten oder in Blogs habe ich sie gesehen. Und immer mit irgendwelchen verdreckten aber extrem glücklich aussehenden Reisenden davor, welche ihre Fäuste in den Himmel strecken und dessen Freude ansteckend ist. Und jetzt, jetzt bin ich einen von ihnen. Jetzt stehe ich vor dem Holzschild mit der grossen Aufschrift „Fin del Mundo“. Das Holzschild welches schon bei tausenden von unglaublichen Reisen der Endpunkt oder aber der Startpunkt war. Das Holzschild, welches in Ushuaia steht, der südlichsten Stadt der Welt, dem Ende der Panamericana und auch dem Ende meiner Reise in den Amerikas. Einfach so… einfach so stand es auf einmal da und beendete somit etwas, was ich gar nicht wollte dass es jemals endet. Was die letzten zwei Jahren zwischen Vancouver und Ushuaia alles passiert ist, ist so viel dass ich es gar nicht mehr begreifen kann. Es übersteigt einfach alles was ich bisher kannte. Und jetzt ist es einfach vorbei. Zack bumm….
Ich möchte hier ja eigentlich gerne ein kleines Lobeslied über die Amerikas anstimmen… Den ganzen lieben Menschen danken welchen ich unterwegs begegnet bin, von ein paar ganz ausserordentlichen Erlebnissen erzählen (z.B. wieso mein Fahrrad auf einmal orange ist), von den Dingen erzählen welche ich lernen durfte und vieles mehr… aber dazu bin ich zurzeit gerade absolut nicht fähig. Dieser Text hier schreibe ich nicht in Südamerika, sondern in Europa. Ich bin seit mittlerweile 2 Wochen zurück auf dem alten Kontinent und fühle mich noch immer ein bisschen wie ein Alien. Komme noch nicht so ganz mit Europa und seiner Gesellschaft klar und suche täglich nach günstigen Flügen zurück… zurück nach Südamerika oder zumindest nach Asien (keine Panik, werde ich schon nicht machen). Ich vermisse die Ruhe der Pampa, die Millionen von Sternen in der Wüste Boliviens, den guten Kaffee Kolumbiens, die mystischen Inka-Ruinen Perus, das leckere Steak in Argentinien, die Haarnadelkurven in den Anden, die Tacos und Tortas von Mexiko und natürlich alle die lauten und manchmal etwas durchgeknallten Menschen welche jeden Tag feiern als wäre es der letzte.
Ich bin zurück in dem geregelten europäischen Alltag wo alles genau so läuft wie es auf den vielen Schildern angeschrieben ist. Wo die Busse nicht nur pünktlich fahren sondern auf ihrem Weg auch nicht auseinanderfallen, wo man das WC-Papier in die Toilette schmeissen kann ohne gleich einen kompletten Kollaps der Kanalisation zu verursachen, wo man in den Supermärkten vom gleichen Produkt mindestens 10 verschiedene Marken findet und selbst Abends um 10 noch warmes Brot bekommt, wo aus der Dusche nach nur wenigen Sekunden tatsächlich warmes Wasser kommt und dann auch bleibt und aber auch wo die Menschen vor lauter Rennen kaum Zeit haben für einander. Und das alles ist schön (ausser das letzte, das ist absolut schrecklich), aber irgendwie gerade alles viel zu viel. Und irgendwie habe ich das alles auch gar nicht vermisst. Es hat ja dort unten auch alles geklappt – irgendwie.
Aber ja, es kommt gut. Gebt mir einfach noch ein bisschen Zeit… Zurzeit ist das Fernweh, die Sehnsucht nach den Amerikas aber einfach noch zu gross für ein Lobeslied. Daher…
Wieder eine Glasscheibe, wieder eine spezielle Situation. Nur dass diesmal keine Guanacos auf der anderen Seite der Scheibe stehen, sondern ein rot-weisser Flieger. Durchs Fenster kann ich gerade sehen wie sie eine überdimensional grosse Kartonschachtel in den Bauch des Flugzeugs schieben. Chocolate ist an Board, es kann losgehen!
Die letzten Tagen waren nochmals so richtig südamerikanisch. Vier Tage nach Ankunft in Ushuaia bin ich mit dem Flieger in die Hauptstadt Argentiniens geflogen, nach Buenos Aires. Die Stadt bietet nochmals so alles von Südamerika an einem einzigen Ort – plus zusätzlich viel Tango und Kultur. Ich habe nochmals alles aufgesogen, nochmals mit allen möglichen Menschen Spanisch gesprochen und nochmals das Chaos auf der Strasse bis in die letzte Faser genossen (wenn auch mit einem Mietvelo, da Chocolate ja schon bereits verpackt war).
Und heute morgen stand pünktlich mein Taxi vor dem Hostel und fuhr mich hierhin zum Flughafen Ezeiza.
Noch 15 Minuten bis zum Abflug, noch 15 Minuten in Südamerika. Ich will irgendwie nicht gehen – aber irgendwie doch. Wie wird es sein zurück auf den Kontinent zu kommen, welchen ich vor fast 3 Jahren verlassen habe und welcher sich nun so fremd anfühlt? Kleine Panik macht sich breit… aber Moment, dann gibt es ja andererseits auch wieder schnelles WiFi und bezahlbares Nutella in den Regalen der Supermärkte…. und Käse! Und nun kommt eine kleine Vorfreude zum Vorschein. Ich merke schon, ich komme hier auf keinen grünen Zweig. Da hilft nur losfliegen und es herausfinden.
Aus den Lautsprechern ertönt nun der letzte Aufruf für den Flug nach London – mein Flug. Ich erhebe mich und laufe langsam in Richtung Gate. Ich spreche noch ein paar letzte spanische Worte mit den Angestellten, verabschiede mich innerlich von dem Kontinent welcher mir so viel gegeben hat und bummle anschliessend langsam durch den Dock bis zur Flugzeugtüre. Durch ein kleines Fenster kann ich ein paar Cumulus-Wolken zuschauen wie sie in Richtung Westen ziehen. Eine gute Idee… ich mache es ihnen jetzt gleich. Ich komme jetzt nach Hause