
Ein Tag in Valparaíso
22. Februar 2019
Das Beste zum Schluss Pt. 1
13. Mai 2019Wie ein schwarzer Teppich liegt die Strasse vor mir und führt scheinbar endlos geradeaus bis zum Horizont. Kein Hügel, kein Haus und kein Baum versperrt die Sicht, denn hier draussen bin nur ich und Chocolate. Nur ein paar vertrocknete Gebüsche mit fiesen Stacheln erheben sich für ungefähr einen halben Meter aus dem heissen sandigen Boden. Rechts von mir verschwindet die Sonne in einem unglaublichen Farbenspiel aus den verschiedensten roten und gelben Farbtönen hinter den Bergen der Anden und mit den letzten Sonnenstrahlen verschwindet auch endlich die unerträgliche Hitze. Und genau diese ist es, welche mich um diese Uhrzeit hierher geführt hat, denn eigentlich sollte man um diese Uhrzeit mit einem Fahrrad nicht mehr so weit draussen in der Wüste sein – zumindest nicht auf der Strasse. Aber Temperaturen von 40 Grad und mehr machen das Radfahren tagsüber unerträglich und somit habe ich mich vor ein paar Tagen dafür entschieden wieder zurück in den „Wüsten-Modus“ zu wechseln, sprich nur früh Morgens und spät Abends unterwegs zu sein und dazwischen eine lange Fiesta in der Hängematte irgendwo im Schatten zu verbringen. Und so bin ich nun kurz nach 21:00 Uhr, über 50 Kilometer von der nächsten Ortschaft entfernt, im Norden von Argentinien unterwegs. Alles kein Problem, denn schliesslich habe ich alles was zum überleben benötigt wird auf dem Gepäckträger. Aber irgendwie bleibt ein mulmiges Gefühl trotzdem.
Neustes auf Instagram
Aus den massiven Wolkenbergen vor mir zucken nun die ersten Blitze hervor sorgen somit für eine weitere Lichtshow, kurz nach dem schönen Farbenspiel während dem Sonnenuntergang. Zurzeit muss ich mich noch nicht um diesen Wetterwechsel kümmern, ist das Unwetter doch noch viele Kilometer weit entfernt. Aber trotzdem, das mulmige Gefühl bleibt.
Eine leise Vorahnung
Es sind Situation wie diese, welche ich am Reisen mit dem Fahrrad liebe und gleichzeitig auch verfluche. Situationen in welchen man sich auf einmal fragen muss „Was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“, Situationen welche aufgrund ihrer Gefährlichkeit einen besonderen Reiz ausmachen und im Nachhinein gesehen gar nicht so schlimm waren – einem aber in dem Moment wo es passiert ziemlich hilflos und klein macht. Bisher wurde es schon oft etwas knapp, aber noch immer gab es irgendeine Lösung. Egal ob Diebe, korrupte Polizisten, versuchte Militärputsche oder von Guerillas blockierte Strassen. Da wird so ein kleines Gewitter in der Wüste ja wohl nicht so schlimm sein. Ich schaue auf den Tacho. Weiterhin konstante 23km/h – mit diesem Tempo sollte ich in circa einer halben Stunde eine kleine Kapelle erreichen, wo ich vor dem Wetter geschützt mein Nachtlager aufbauen kann. Also weiterhin kräftig in die Pedalen treten und das Unwetter direkt vor mir beobachten.
Wein oder Wasser?
Als ich vor wenigen Tagen in der Stadt Salta gestartet bin, war das Wetter auch nicht unbedingt besser. Dicke Regenwolken hingen über der Stadt und die Strassen waren teils zentimeterhoch mit Wasser geflutet. Dass dennoch mein Lieblings-Empanada-Stand gleich um die Ecke vom Hostel geöffnet hatte, erschien mir wie ein kleines Wunder. Ohne diese kleinen mit Fleisch gefüllten und frittierten Teigtaschen hätte ich an diesem Tag wohl keinen Kilometer raus aus der Stadt geschafft. Wobei eine weitere Nacht in dem kleinen und stickigen Dormitory des Hostels auch nicht möglich erschien – zu sehr vermisste ich mein Zelt. Ich hatte Glück an dem Tag, denn kaum hatte ich die Stadtgrenze passiert, lichteten sich die Wolken und die Sonnenstrahlen erhellten die beigen und roten Felswänden um mich herum. Ich fuhr auf der berühmten „Ruta 40“ – einer über 4000 Kilometer langen Strasse welche von der Wüste im Norden des Landes bis zu den Gletschern im südlichsten Zipfel des Kontinents führt – einem Canyon entlang zur Stadt Cafayate. Die Stadt ist vor allem bekannt für seinen Wein, und die Weinreben erstrecken sich rund um die Stadt bis weit in die Wüste hinein. Hier reiht sich ein Winzer an den nächsten und jedes Gebäude ist mit dutzenden von Weinfässern verziert. Dahinter erstrecken sich die grünen Reben in regelmässigen Reihen bis weit nach hinten zu den dürren gelb-beigen Bergen. Nur mittels Stauseen und dem Niederschlag und Schnee in den nahegelegenen Anden gelingt es den Winzern in dieser sonst so ausgetrockneten Gegend Wein anzubauen.
Im Zentrum der Stadt wurde mir das Ausmass von dem Tourismus in Form von diversen Souvenir-Shops, Hotels und hochpreisigen Restaurants deutlich vor Augen geführt. Es war kurz nach Mittag als ich mit Chocolate über die Plaza rollte, auf der Suche nach etwas essbarem. Nun stand die Frage im Raum, Wein und bleiben oder Wasser und noch ein paar Kilometer weiterfahren. Ich entschied mich für das zweite und fuhr so nach ein paar Empanadas und aufgefüllten Wasserflaschen weiter auf der Ruta 40 nach Süden. Wein gibt es auch noch in Mendoza, der letzten grösseren Stadt in Argentinien, bevor es zurück nach Chile geht.
Dem Sonnenuntergang entgegen
Mit jedem Tag mehr auf der Strasse nach Mendoza stieg die Temperatur. Nun war ich täglich in strahlendem Sonnenschein unterwegs und in einer Gegend, welche bis auf ein paar wenige Büsche absolut keinen Schatten bot. Die Temperatur stieg bis zum Nachmittag auf über 40 Grad. So musste ich die Tage relativ gut planen und nur noch früh morgens und spät abends unterwegs sein um die Mittagshitze vermeiden zu können. Eine Planung welche nicht nur aufgrund der Temperaturen Sinn machte, sondern auch aufgrund der hier geltenden Ladenöffnungszeiten. Denn in diesem Teil von Argentinien wird noch Siesta gemacht und somit sind die wenigen Dörfer auf dieser Strecke Nachmittags jeweils wie ausgestorben und alle Läden und Restaurants geschlossen. Die Siesta dauert von ungefähr 13 Uhr bis ca. 18 Uhr – wer in dieser Zeit etwas anderes als wie Benzin oder erste Hilfe benötigt, muss zwingend bis zum Abend warten. Keine schlechte Sache wenn man eine Hängematte im Gepäck hat.
So fuhr ich spät abends aus einem kleinen Dorf zurück in die Wüste um einen ruhigen abgelegenen Schlafplatz zu finden. Die Strasse führte schnurgerade aus der Zivilisation hinaus in die Wüste und verschwand irgendwo dutzende Kilometer vor mir hinter dem Horizont. Mit jeder Minute länger auf dem Fahrrad wurde mein Schatten länger und die Temperaturen nahmen spürbar ab. Die Strasse führte mich über einen kleineren Hügel nach welchem ein weiteres scheinbar unendlich grosses Tal sichtbar wurde, welches nur durch die ersten Ausläufer der Anden begrenzt wurde. Ich fuhr nach Westen und so verschwand die Sonne mit einem riesigen Lichtspektakel direkt vor meinen Augen hinter den Anden. Es sind genau solche Momente, welche eine Radreise unvergesslich machen!
Ich schlug mein Zelt ein bisschen abseits der Strasse hinter ein paar Büschen auf und genoss die nun endlich kühlen Temperaturen. Ein leichter Wind sorgte ab und zu für eine noch bessere Abkühlung. Alles in allem keinen Grund das Zelt mit den Häringen zu sichern. Mittlerweile breiteten sich über mir Millionen von Sternen aus und die Milchstrasse führt direkt über die Mitte des Zelt. So genoss ich während dem Kochen das „TV-Programm für Radnomaden“ und zählte Sternschnuppen (so viele Wünsche gibt es nicht, wie es Sternschnuppen in der Wüste gibt). Nach dem sehr späten Abendessen liess ich die Sternschnuppen alleine weiterziehen und verzog mich in das Zelt. Campen in der Wüste ist der Hammer! Kein Summen von Moskitos, keine zwitschernde Vögel, keine Rauschen von Blättern – einfach Ruhe!
Heute blau, morgen grau
Ich wurde um kurz nach 3 Uhr Nachts wach… Denn mit der Ruhe war es urplötzlich vorbei. Ein starker Wind rüttelte an meinem Zelt und drohte damit es in die Wüste hinauszuwehen – mit mir inklusive! Also schnell raus, die Häringe suchen und das Zelt im Boden verankern (was relativ schwierig ist bei dem sandigen Boden hier). Die Häringe wackelten bedrohlich, hielten aber das Zelt an seinem Ort fest. Zur Sicherheit befestigte ich auch noch die zusätzliche Abspannung, welche eigentlich bisher nur in den Stürmen auf dem Altiplano in Bolivien zum Einsatz kamen. So hielt die ganze Sache nun, aber aufgrund der Windgeräusche war ein Einschlafen fast unmöglich. So krabbelte ich hundemüde ein paar Stunden später im ersten Licht aus dem Zelt heraus und staunte nicht schlecht über die rapide Wetterverschlechterung, welche sich nun vor mir abzeichnetet. Der blaue Himmel ist Vergangenheit und machte nun einem grauen Horizont Platz. Dicke Wolken zogen träge nach Osten und ein stürmischer Wind blies von Westen gegen mein Gesicht. Immerhin hat der Wetterwechsel auch etwas Gutes: die Hitze ist mit dem kühlen Wind aus den Anden nun endgültig verschwunden – es ist endlich mal wieder Pullover-Wetter!
Meine Laune passte sich schnell dem grauen Wetter an und da hilft nur noch Kaffee… doch wo ist jetzt genau wieder mein Kochtopf hin? Und der Kaffeefilter? Und das Besteck? Der Wind hat in der Nacht eine gute Arbeit geleistet und meine komplette Küche in der Wüste verteilt. Dank den vielen Büschen hielt sich jedoch der Suchradius in Grenzen und nach nur 20 Minuten hatte ich wieder alle Gegenstände zusammen und nun sicher verpackt in den Radtaschen. So viel Mühe für ein bisschen Kaffee zum Frühstück war bisher selten.
Bis zur nächsten Ortschaft waren es gerade einmal 29 Kilometer, dies allerdings in westlicher Richtung… genau dort wo der Wind herkommt. Für die kurze Strecke benötigte ich ganze 3 Stunden. Eigentlich wäre ich gerne an dem Tag noch die 80 weiteren Kilometer zur nächst grösseren Ortschaft gefahren, jedoch war bei diesem Wind keinen weiteren Meter mehr möglich. Auf einem Fussballplatz fand ich hinter ein paar Backsteinen einen Windschutz und blieb dort den ganzen Tag, bis am nächsten Morgen der mittlerweile verhasste Wind endlich aufgab und mir den Weg nach Süden wieder freimachte.
Siesta, die schönsten Stunden des Tages
Die Hitze schickte mich mal wieder in die Hängematte… in einem der wenigen schattigen Plätzen wurde mir das Glück auf Reisen zu sein mal wieder bewusst. Während mein Blick über das grüne Gras wanderte, hinüber zum Pool wo eine Gruppe von jungen Argentinier das kühle Nass genoss und weiter zu meinem Zelt, in welchem ein junges Mädchen mit ihrem Plüschhasen spielte während ihre Eltern am Tisch ein Buch lasen. Hier draussen braucht es so wenig um alles zu haben was man braucht (klingt sehr spirituell, ich weiss 😉 ).
Während in meiner Heimat alle am Rennen sind und dabei fast keine Zeit mehr haben einfach mal anzuhalten um mal den Moment zu geniessen, scheint dies hier in diesem Teil der Welt ein fester Bestandteil des Alltags zu sein – der Siesta sei Dank! Wenn die Temperaturen zu hoch werden, wird einfach der normale Alltags-Wahnsinn abgestellt, werden die Bürgersteige hochgeklappt, die Schilder von „Abierto“ zu „Cerrado“ gedreht und man verzieht sich mit seiner Familie in das kühle Haus, oder auf einen der Campingplätze an den Pool. Dann werden überdimensional grosse Steaks auf den Grill geworfen, Bierdosen geöffnet, das Radio aufgedreht und die Kinder springen mit ihren aufblasbaren Spielkumpanen in das kühle Nass des Pools. Dann kommt die Familie zusammen, mit den Nachbarn werden die Steaks geteilt und die Frau vom Lebensmittelladen um die Ecke verrät das Geheimrezept ihrer Marinade – kein Witz, das ist gerade so passiert! Abends wenn dann die Sonne ihre letzten Strahlen zur Erde schickt und die Temperaturen sich wieder in einen erträglichen Rahmen bewegen, packen alle wieder ihre Sachen zusammen und gehen zurück in die Stadt um nochmals für ein paar Stunden das Schild an der Türe ihres Laden von „Cerrado“ auf „Abierto“ zu drehen. Und wenn man dann nochmals kurz in den Lebensmittelladen um die Ecke geht, wird man von der Besitzerin wie ein verlorener Sohn begrüsst – schliesslich ist man nun ein Teil der Familie!
So ging das nun schon ein paar Tage, während ich eine Auszeit vom Radfahren in der argentinischen Pampa genoss. Nach dem stürmischen Tag und der gezwungenen Pause auf dem Fussballplatz fuhr ich weitere 340 Kilometer bis zur Stadt San Juan, wo ich nicht nur diesen herrlichen Campingplatz fand, sondern auch noch eine Familie aus der Schweiz, welche mit einem Van von Kanada bis nach Ushuaia unterwegs sind. Und noch ein paar Tage vorher traf ich auf Agnes, die Radfahrerin aus Polen mit welcher ich bereits früher schon einmal die Strasse geteilt habe. So genoss ich nun die Tage auf diesem Campingplatz nicht nur mit anderen Radfahrern und Reisenden, sondern wurde auch von den Einheimischen in die argentinische Kunst des Leben und Geniessen eingeweiht. Hach gäbe es doch auch in der Schweiz ein wenig Siesta… oder zumindest ein bisschen mehr dieses „Miteinander“. Aber irgendwie kommt es mir vor, als würden wir dafür alle viel zu schnell rennen.
Hier draussen bist du ganz alleine…
Dies alles liegt nun schon ein paar Tage zurück… oder doch nicht? Nein, eigentlich bin ich erst gerade heute Morgen doch von diesem Campingplatz aufgebrochen! Und nun bin ich schon wieder mitten in der Pampa unterwegs, weit weg von all diesen lieben Menschen und auch weit weg von der nächsten Zivilisation.
Die Blitze vor mir kommen mit einem Wahnsinns-Tempo auf mich zu. Kurz bleibe ich stehen um die Karte neu zu studieren. Die Kapelle, der einzige Schutz hier draussen, ist noch 6 Kilometer entfernt – das Gewitter vielleicht noch 10 Kilometer. Es wird ein Rennen und das mulmige Gefühl wird grösser.
Ich trete nun so fest in die Pedale wie es geht, und der Fahrtwind wird stärker und stärker. Oder ist dies jetzt bereits der Gegenwind von dem Unwetter vor mir, welches so stark in mein Gesicht bläst? In der Dunkelheit kann ich den Tacho nicht erkennen und habe somit keine Ahnung wie schnell ich überhaupt unterwegs bin. Die Blitze sind mittlerweile so nah, dass ich jeweils kurz zusammenzucke wenn mal wieder einer vor mir auf den Boden schnellt. Die Kapelle müsste jetzt vielleicht noch 3 Kilometer entfernt sein… optimistisch gesehen. Wahrscheinlich sind eher 4… shit ich muss mich beeilen! Also noch stärker in die Pedalen treten. Meine Beine brennen bereits und das hier fühlt sich so gar nicht mehr nach einer Radreise an. Eher wie die Tour de France, nur dass ich hier nicht gegen die Zeit, sondern gegen das Unwetter vor mir ankämpfen muss.
Links von mir sehe ich eine Glühbirne im Wind wackeln… warte, eine Glühbirne? Hier draussen? Tatsächlich! Während ein weiterer Blitz die Gegend für einen Bruchteil einer Sekunde erhellt, erkenne ich zwei Fussballtore auf einem staubigen Untergrund und im Hintergrund mehrere Bäume hinter welchen sich wahrscheinlich ein Gebäude befindet. Die Glühbirne markiert das Tor zu dem kleinen Grundstück und stellt die einzige Lichtquelle dar für dutzende Kilometer. Dies könnte ein Plan B darstellen, falls ich es nicht bis zur Kapelle schaffen würde. Aber es sind ja nur noch 2 Kilometer bis dorthin – optimistisch gesehen. Trotz des neuen Plan steigt das mulmige Gefühl. Irgendetwas stimmt hier nicht… ich weiss aber noch nicht was genau.
Ein Auto überholt mich mit hoher Geschwindigkeit und fährt geradewegs in das Unwetter vor uns. Der hat wenigstens genügend Schutz in seinem Fahrzeug… Obwohl die Strasse schnurgerade ist, verschwinden seine Rücklichter nach nur wenigen Metern im Dunkeln. Irgendetwas stimmt hier nicht! Ich schaue nach rechts. Sand, Büsche, ein paar weisse Wolkenfetzen und weit, weit weg glitzern Sterne. Das gleich Bild auf der linken Seite. Nun fokussiere ich meinen Blick wieder nach vorne. Nur gibt es dort absolut nichts was ich fokussieren könnte! Es ist komplett schwarz! Vor mir gibt es keine Sterne, keine Wolkenfetzen, keine Rücklichter, keine Blitze, keine Mittellinie, keine Strasse…. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht! Jetzt ist das Adrenalin voll da. Alle Sinne geschärft und in Bereitschaft loszurennen. Ich trete noch stärker in die Pedalen, unwissend, dass ich mich damit noch stärker in den noch unbekannten Gegner vor mich hineinkatapultiere. Mein Gehirn rattert gleichzeitig auf Hochtouren. Was ist direkt vor mir was ich nicht sehen kann und scheinbar die komplette Welt verschlingt?
Kurze Unterbrechung hier… gefällt dir was du liest?
Denn eine Radreise ist günstig, aber dennoch nicht gratis. Ich freue mich über jede Spende, denn sie hilft nicht nur dabei auch weiterhin Stories zu erleben und schreiben, sondern zeigt mir auch, dass meine Beiträge geschätzt werden. Vielen Dank für deine Unterstützung!
Die Erkenntnis kommt fast gleichzeitig mit dem unsichtbaren Gegner vor mir. In der letzten Sekunde reisse ich den Lenker nach rechts auf den Sandstreifen neben der Fahrbahn und werde unsanft durchgeschüttelt. Ich mache eine Vollbremse und die Reifen verschwinden tief im Sand, trotzdem dauert es eine gefühlte Ewigkeit bis die Räder endlich zum Stillstand kommen. So schnell es geht reisse ich das Halstuch weit über mein Gesicht bis über die Augen und drehe den Kopf weg aus der Windrichtung. Dann überrollt mich eine Wand aus Sand. Tausende kleine Sandpartikel prallen überall an meinem Körper ab. Jede ungeschützte Stelle wird nun sandgestrahlt. Um mich herum ist es stockdunkel, noch nicht mal den Lenker kann ich sehen. Ich spüre wie sich der Sand mit meinem Schweiss vermischt und sich so quasi eine zweite Hautschicht bildet.
Der Sandsturm dauert eine gefühlte Ewigkeit und während ich so in dieser Hölle aus Sand ausharre, frage ich mich mal wieder „was zum Teufel mache ich hier eigentlich?“. Dann die Erkenntnis: der Sandsturm ist nur der Downwash von dem Gewitter dahinter. Also kommen nach dem Sandsturm die Blitze! Und ich stehe noch immer hier draussen mit einem Stahl-Fahrrad und komplett ohne Schutz. Es gibt also keine andere Möglichkeit als wie umzudrehen und versuchen diese eine Glühbirne zu erreichen um dort wenigsten um etwas Schutz bitten zu können. Und obwohl ich noch wortwörtlich keinen Meter weit sehen kann, fahre ich nun also zurück. Ich spüre wie die Reifen wieder auf den harten Asphalt kommen und erkenne direkt unter mir die Linie des Fahrbahnrand. Eigentlich muss ich nun nur dieser folgen und hoffen, dass diese nicht von irgendeinem Hindernis urplötzlich begrenzt wird. Der Wind bläst nun so stark von hinten, dass ich ununterbrochen auf der Bremse stehe. Nach mehreren hundert Metern lockert sich der Sandsturm endlich und ich erkenne wieder gute 10 Meter vor dem Vorderrad. So geht es Stück für Stück schneller voran. Mittlerweile müsste ich an dem Ort mit der Glühbirne sein und tatsächlich erkenn ich ein schwaches Leuchten inmitten des Sandsturms. Ich fahre zum Tor, klettere darüber und laufe über den Fussballplatz. Beim zweiten Tor empfängt mich bereits ein Mann mittleren Alters mit seinen zwei ältesten Söhnen. Er ist sichtlich verwundert um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter noch jemanden anzutreffen und so ist seine Begrüssung vorerst sehr zurückhaltend. Ich erkläre ihm kurz meine Situation und sein Gesichtsausdruck erhellt sich schlagartig. Er bietet mir ein Stück Wiese inmitten von den Bäumen zum campieren an – keine Sekunde zu spät, denn die Blitze haben mich mittlerweile eingeholt und schlagen nur wenige Meter neben uns in die Erde ein. Was folgt ist ein Gewitter welches ich so noch nirgendwo gesehen habe. Im halbsekunden-Takt schlagen die Blitze ein, alle zwei Sekunden in unmittelbarer Nähe. Die Bäume haben eine schwere Zeit und werden mehrfach getroffen. Nicht auszumalen was gewesen wäre, wenn nicht dieses kleines Refugio hier gewesen wäre. Wenn ich irgendwo alleine da draussen dieses Unwetter hätte überstehen müssen.
Denn, hier draussen bist du ganz alleine. Okay meistens zumindest 😉
What’s next?
Ich bin gerade ehrlich gesagt mit vielen Berichten etwas spät dran… die Story oben hat sich bereits vor fast 1.5 Monaten ereignet. Mittlerweile bin ich schon einiges weiter südlich, habe Argentinien in Richtung Chile und somit auch die Pampa verlassen, habe eine mehrwöchige Auszeit in einem kleinen Dörfchen bei Freunden verbracht und bin über einen weiteren Bergpass zurück nach Argentinien gefahren – um wieder in der langweiligen Pampa unterwegs sein zu können. Diesen Bericht schreibe ich zurzeit gerade in Junín de los Andes, also viele Kilometer weiter südlich und bereits offiziell im Departamento Patagonien! Ja, es sind nicht mehr viele Kilometer bis zum „Ende der Welt“ und dem Ende dieser Reise (zumindest auf diesem Kontinent).
Wieso es zurzeit so wenig Berichte und Bilder gibt? Nun ja, eigentlich ist diese Frage einfach zu beantworten: keine Zeit. Die längere Ausführung ist, dass ich wohl etwas zu lange bei meinen Freunden in Chile gewesen war, und mich nun sputen muss um noch vor dem Winterbeginn in Ushuaia anzukommen. Die wenigen Dörfer und die somit weniger vorhandenen Möglichkeiten an ein gutes Internet zu kommen sind dabei auch nicht gerade hilfreich. Ich werde mich aber auf jeden Fall bemühen den Blog einigermassen aktuell zu halten!
Was ich in Chile so getan habe? Schau hier