Wie ein schwarzer Teppich liegt die Strasse vor mir und fรผhrt scheinbar endlos geradeaus bis zum Horizont. Kein Hรผgel, kein Haus und kein Baum versperrt die Sicht, denn hier draussen bin nur ich und Chocolate. Nur ein paar vertrocknete Gebรผsche mit fiesen Stacheln erheben sich fรผr ungefรคhr einen halben Meter aus dem heissen sandigen Boden. Rechts von mir verschwindet die Sonne in einem unglaublichen Farbenspiel aus den verschiedensten roten und gelben Farbtรถnen hinter den Bergen der Anden und mit den letzten Sonnenstrahlen verschwindet auch endlich die unertrรคgliche Hitze. Und genau diese ist es, welche mich um diese Uhrzeit hierher gefรผhrt hat, denn eigentlich sollte man um diese Uhrzeit mit einem Fahrrad nicht mehr so weit draussen in der Wรผste sein โ zumindest nicht auf der Strasse. Aber Temperaturen von 40 Grad und mehr machen das Radfahren tagsรผber unertrรคglich und somit habe ich mich vor ein paar Tagen dafรผr entschieden wieder zurรผck in den โWรผsten-Modusโ zu wechseln, sprich nur frรผh Morgens und spรคt Abends unterwegs zu sein und dazwischen eine lange Fiesta in der Hรคngematte irgendwo im Schatten zu verbringen. Und so bin ich nun kurz nach 21:00 Uhr, รผber 50 Kilometer von der nรคchsten Ortschaft entfernt, im Norden von Argentinien unterwegs. Alles kein Problem, denn schliesslich habe ich alles was zum รผberleben benรถtigt wird auf dem Gepรคcktrรคger. Aber irgendwie bleibt ein mulmiges Gefรผhl trotzdem.
Aus den massiven Wolkenbergen vor mir zucken nun die ersten Blitze hervor sorgen somit fรผr eine weitere Lichtshow, kurz nach dem schรถnen Farbenspiel wรคhrend dem Sonnenuntergang. Zurzeit muss ich mich noch nicht um diesen Wetterwechsel kรผmmern, ist das Unwetter doch noch viele Kilometer weit entfernt. Aber trotzdem, das mulmige Gefรผhl bleibt.
Es sind Situation wie diese, welche ich am Reisen mit dem Fahrrad liebe und gleichzeitig auch verfluche. Situationen in welchen man sich auf einmal fragen muss โWas zum Teufel mache ich hier eigentlich?โ, Situationen welche aufgrund ihrer Gefรคhrlichkeit einen besonderen Reiz ausmachen und im Nachhinein gesehen gar nicht so schlimm waren โ einem aber in dem Moment wo es passiert ziemlich hilflos und klein macht. Bisher wurde es schon oft etwas knapp, aber noch immer gab es irgendeine Lรถsung. Egal ob Diebe, korrupte Polizisten, versuchte Militรคrputsche oder von Guerillas blockierte Strassen. Da wird so ein kleines Gewitter in der Wรผste ja wohl nicht so schlimm sein. Ich schaue auf den Tacho. Weiterhin konstante 23km/h โ mit diesem Tempo sollte ich in circa einer halben Stunde eine kleine Kapelle erreichen, wo ich vor dem Wetter geschรผtzt mein Nachtlager aufbauen kann. Also weiterhin krรคftig in die Pedalen treten und das Unwetter direkt vor mir beobachten.
Als ich vor wenigen Tagen in der Stadt Salta gestartet bin, war das Wetter auch nicht unbedingt besser. Dicke Regenwolken hingen รผber der Stadt und die Strassen waren teils zentimeterhoch mit Wasser geflutet. Dass dennoch mein Lieblings-Empanada-Stand gleich um die Ecke vom Hostel geรถffnet hatte, erschien mir wie ein kleines Wunder. Ohne diese kleinen mit Fleisch gefรผllten und frittierten Teigtaschen hรคtte ich an diesem Tag wohl keinen Kilometer raus aus der Stadt geschafft. Wobei eine weitere Nacht in dem kleinen und stickigen Dormitory des Hostels auch nicht mรถglich erschien โ zu sehr vermisste ich mein Zelt. Ich hatte Glรผck an dem Tag, denn kaum hatte ich die Stadtgrenze passiert, lichteten sich die Wolken und die Sonnenstrahlen erhellten die beigen und roten Felswรคnden um mich herum. Ich fuhr auf der berรผhmten โRuta 40โ – einer รผber 4000 Kilometer langen Strasse welche von der Wรผste im Norden des Landes bis zu den Gletschern im sรผdlichsten Zipfel des Kontinents fรผhrt – einem Canyon entlang zur Stadt Cafayate. Die Stadt ist vor allem bekannt fรผr seinen Wein, und die Weinreben erstrecken sich rund um die Stadt bis weit in die Wรผste hinein. Hier reiht sich ein Winzer an den nรคchsten und jedes Gebรคude ist mit dutzenden von Weinfรคssern verziert. Dahinter erstrecken sich die grรผnen Reben in regelmรคssigen Reihen bis weit nach hinten zu den dรผrren gelb-beigen Bergen. Nur mittels Stauseen und dem Niederschlag und Schnee in den nahegelegenen Anden gelingt es den Winzern in dieser sonst so ausgetrockneten Gegend Wein anzubauen.
Im Zentrum der Stadt wurde mir das Ausmass von dem Tourismus in Form von diversen Souvenir-Shops, Hotels und hochpreisigen Restaurants deutlich vor Augen gefรผhrt. Es war kurz nach Mittag als ich mit Chocolate รผber die Plaza rollte, auf der Suche nach etwas essbarem. Nun stand die Frage im Raum, Wein und bleiben oder Wasser und noch ein paar Kilometer weiterfahren. Ich entschied mich fรผr das zweite und fuhr so nach ein paar Empanadas und aufgefรผllten Wasserflaschen weiter auf der Ruta 40 nach Sรผden. Wein gibt es auch noch in Mendoza, der letzten grรถsseren Stadt in Argentinien, bevor es zurรผck nach Chile geht.
Mit jedem Tag mehr auf der Strasse nach Mendoza stieg die Temperatur. Nun war ich tรคglich in strahlendem Sonnenschein unterwegs und in einer Gegend, welche bis auf ein paar wenige Bรผsche absolut keinen Schatten bot. Die Temperatur stieg bis zum Nachmittag auf รผber 40 Grad. So musste ich die Tage relativ gut planen und nur noch frรผh morgens und spรคt abends unterwegs sein um die Mittagshitze vermeiden zu kรถnnen. Eine Planung welche nicht nur aufgrund der Temperaturen Sinn machte, sondern auch aufgrund der hier geltenden Ladenรถffnungszeiten. Denn in diesem Teil von Argentinien wird noch Siesta gemacht und somit sind die wenigen Dรถrfer auf dieser Strecke Nachmittags jeweils wie ausgestorben und alle Lรคden und Restaurants geschlossen. Die Siesta dauert von ungefรคhr 13 Uhr bis ca. 18 Uhr โ wer in dieser Zeit etwas anderes als wie Benzin oder erste Hilfe benรถtigt, muss zwingend bis zum Abend warten. Keine schlechte Sache wenn man eine Hรคngematte im Gepรคck hat.
So fuhr ich spรคt abends aus einem kleinen Dorf zurรผck in die Wรผste um einen ruhigen abgelegenen Schlafplatz zu finden. Die Strasse fรผhrte schnurgerade aus der Zivilisation hinaus in die Wรผste und verschwand irgendwo dutzende Kilometer vor mir hinter dem Horizont. Mit jeder Minute lรคnger auf dem Fahrrad wurde mein Schatten lรคnger und die Temperaturen nahmen spรผrbar ab. Die Strasse fรผhrte mich รผber einen kleineren Hรผgel nach welchem ein weiteres scheinbar unendlich grosses Tal sichtbar wurde, welches nur durch die ersten Auslรคufer der Anden begrenzt wurde. Ich fuhr nach Westen und so verschwand die Sonne mit einem riesigen Lichtspektakel direkt vor meinen Augen hinter den Anden. Es sind genau solche Momente, welche eine Radreise unvergesslich machen!
Ich schlug mein Zelt ein bisschen abseits der Strasse hinter ein paar Bรผschen auf und genoss die nun endlich kรผhlen Temperaturen. Ein leichter Wind sorgte ab und zu fรผr eine noch bessere Abkรผhlung. Alles in allem keinen Grund das Zelt mit den Hรคringen zu sichern. Mittlerweile breiteten sich รผber mir Millionen von Sternen aus und die Milchstrasse fรผhrt direkt รผber die Mitte des Zelt. So genoss ich wรคhrend dem Kochen das โTV-Programm fรผr Radnomadenโ und zรคhlte Sternschnuppen (so viele Wรผnsche gibt es nicht, wie es Sternschnuppen in der Wรผste gibt). Nach dem sehr spรคten Abendessen liess ich die Sternschnuppen alleine weiterziehen und verzog mich in das Zelt. Campen in der Wรผste ist der Hammer! Kein Summen von Moskitos, keine zwitschernde Vรถgel, keine Rauschen von Blรคttern โ einfach Ruhe!
Ich wurde um kurz nach 3 Uhr Nachts wach… Denn mit der Ruhe war es urplรถtzlich vorbei. Ein starker Wind rรผttelte an meinem Zelt und drohte damit es in die Wรผste hinauszuwehen โ mit mir inklusive! Also schnell raus, die Hรคringe suchen und das Zelt im Boden verankern (was relativ schwierig ist bei dem sandigen Boden hier). Die Hรคringe wackelten bedrohlich, hielten aber das Zelt an seinem Ort fest. Zur Sicherheit befestigte ich auch noch die zusรคtzliche Abspannung, welche eigentlich bisher nur in den Stรผrmen auf dem Altiplano in Bolivien zum Einsatz kamen. So hielt die ganze Sache nun, aber aufgrund der Windgerรคusche war ein Einschlafen fast unmรถglich. So krabbelte ich hundemรผde ein paar Stunden spรคter im ersten Licht aus dem Zelt heraus und staunte nicht schlecht รผber die rapide Wetterverschlechterung, welche sich nun vor mir abzeichnetet. Der blaue Himmel ist Vergangenheit und machte nun einem grauen Horizont Platz. Dicke Wolken zogen trรคge nach Osten und ein stรผrmischer Wind blies von Westen gegen mein Gesicht. Immerhin hat der Wetterwechsel auch etwas Gutes: die Hitze ist mit dem kรผhlen Wind aus den Anden nun endgรผltig verschwunden โ es ist endlich mal wieder Pullover-Wetter!
Meine Laune passte sich schnell dem grauen Wetter an und da hilft nur noch Kaffee… doch wo ist jetzt genau wieder mein Kochtopf hin? Und der Kaffeefilter? Und das Besteck? Der Wind hat in der Nacht eine gute Arbeit geleistet und meine komplette Kรผche in der Wรผste verteilt. Dank den vielen Bรผschen hielt sich jedoch der Suchradius in Grenzen und nach nur 20 Minuten hatte ich wieder alle Gegenstรคnde zusammen und nun sicher verpackt in den Radtaschen. So viel Mรผhe fรผr ein bisschen Kaffee zum Frรผhstรผck war bisher selten.
Bis zur nรคchsten Ortschaft waren es gerade einmal 29 Kilometer, dies allerdings in westlicher Richtung… genau dort wo der Wind herkommt. Fรผr die kurze Strecke benรถtigte ich ganze 3 Stunden. Eigentlich wรคre ich gerne an dem Tag noch die 80 weiteren Kilometer zur nรคchst grรถsseren Ortschaft gefahren, jedoch war bei diesem Wind keinen weiteren Meter mehr mรถglich. Auf einem Fussballplatz fand ich hinter ein paar Backsteinen einen Windschutz und blieb dort den ganzen Tag, bis am nรคchsten Morgen der mittlerweile verhasste Wind endlich aufgab und mir den Weg nach Sรผden wieder freimachte.
Die Hitze schickte mich mal wieder in die Hรคngematte… in einem der wenigen schattigen Plรคtzen wurde mir das Glรผck auf Reisen zu sein mal wieder bewusst. Wรคhrend mein Blick รผber das grรผne Gras wanderte, hinรผber zum Pool wo eine Gruppe von jungen Argentinier das kรผhle Nass genoss und weiter zu meinem Zelt, in welchem ein junges Mรคdchen mit ihrem Plรผschhasen spielte wรคhrend ihre Eltern am Tisch ein Buch lasen. Hier draussen braucht es so wenig um alles zu haben was man braucht (klingt sehr spirituell, ich weiss ๐ ).
Wรคhrend in meiner Heimat alle am Rennen sind und dabei fast keine Zeit mehr haben einfach mal anzuhalten um mal den Moment zu geniessen, scheint dies hier in diesem Teil der Welt ein fester Bestandteil des Alltags zu sein โ der Siesta sei Dank! Wenn die Temperaturen zu hoch werden, wird einfach der normale Alltags-Wahnsinn abgestellt, werden die Bรผrgersteige hochgeklappt, die Schilder von โAbiertoโ zu โCerradoโ gedreht und man verzieht sich mit seiner Familie in das kรผhle Haus, oder auf einen der Campingplรคtze an den Pool. Dann werden รผberdimensional grosse Steaks auf den Grill geworfen, Bierdosen geรถffnet, das Radio aufgedreht und die Kinder springen mit ihren aufblasbaren Spielkumpanen in das kรผhle Nass des Pools. Dann kommt die Familie zusammen, mit den Nachbarn werden die Steaks geteilt und die Frau vom Lebensmittelladen um die Ecke verrรคt das Geheimrezept ihrer Marinade โ kein Witz, das ist gerade so passiert! Abends wenn dann die Sonne ihre letzten Strahlen zur Erde schickt und die Temperaturen sich wieder in einen ertrรคglichen Rahmen bewegen, packen alle wieder ihre Sachen zusammen und gehen zurรผck in die Stadt um nochmals fรผr ein paar Stunden das Schild an der Tรผre ihres Laden von โCerradoโ auf โAbiertoโ zu drehen. Und wenn man dann nochmals kurz in den Lebensmittelladen um die Ecke geht, wird man von der Besitzerin wie ein verlorener Sohn begrรผsst โ schliesslich ist man nun ein Teil der Familie!
So ging das nun schon ein paar Tage, wรคhrend ich eine Auszeit vom Radfahren in der argentinischen Pampa genoss. Nach dem stรผrmischen Tag und der gezwungenen Pause auf dem Fussballplatz fuhr ich weitere 340 Kilometer bis zur Stadt San Juan, wo ich nicht nur diesen herrlichen Campingplatz fand, sondern auch noch eine Familie aus der Schweiz, welche mit einem Van von Kanada bis nach Ushuaia unterwegs sind. Und noch ein paar Tage vorher traf ich auf Agnes, die Radfahrerin aus Polen mit welcher ich bereits frรผher schon einmal die Strasse geteilt habe. So genoss ich nun die Tage auf diesem Campingplatz nicht nur mit anderen Radfahrern und Reisenden, sondern wurde auch von den Einheimischen in die argentinische Kunst des Leben und Geniessen eingeweiht. Hach gรคbe es doch auch in der Schweiz ein wenig Siesta… oder zumindest ein bisschen mehr dieses โMiteinanderโ. Aber irgendwie kommt es mir vor, als wรผrden wir dafรผr alle viel zu schnell rennen.
Dies alles liegt nun schon ein paar Tage zurรผck… oder doch nicht? Nein, eigentlich bin ich erst gerade heute Morgen doch von diesem Campingplatz aufgebrochen! Und nun bin ich schon wieder mitten in der Pampa unterwegs, weit weg von all diesen lieben Menschen und auch weit weg von der nรคchsten Zivilisation.
Die Blitze vor mir kommen mit einem Wahnsinns-Tempo auf mich zu. Kurz bleibe ich stehen um die Karte neu zu studieren. Die Kapelle, der einzige Schutz hier draussen, ist noch 6 Kilometer entfernt โ das Gewitter vielleicht noch 10 Kilometer. Es wird ein Rennen und das mulmige Gefรผhl wird grรถsser.
Ich trete nun so fest in die Pedale wie es geht, und der Fahrtwind wird stรคrker und stรคrker. Oder ist dies jetzt bereits der Gegenwind von dem Unwetter vor mir, welches so stark in mein Gesicht blรคst? In der Dunkelheit kann ich den Tacho nicht erkennen und habe somit keine Ahnung wie schnell ich รผberhaupt unterwegs bin. Die Blitze sind mittlerweile so nah, dass ich jeweils kurz zusammenzucke wenn mal wieder einer vor mir auf den Boden schnellt. Die Kapelle mรผsste jetzt vielleicht noch 3 Kilometer entfernt sein… optimistisch gesehen. Wahrscheinlich sind eher 4… shit ich muss mich beeilen! Also noch stรคrker in die Pedalen treten. Meine Beine brennen bereits und das hier fรผhlt sich so gar nicht mehr nach einer Radreise an. Eher wie die Tour de France, nur dass ich hier nicht gegen die Zeit, sondern gegen das Unwetter vor mir ankรคmpfen muss.
Links von mir sehe ich eine Glรผhbirne im Wind wackeln… warte, eine Glรผhbirne? Hier draussen? Tatsรคchlich! Wรคhrend ein weiterer Blitz die Gegend fรผr einen Bruchteil einer Sekunde erhellt, erkenne ich zwei Fussballtore auf einem staubigen Untergrund und im Hintergrund mehrere Bรคume hinter welchen sich wahrscheinlich ein Gebรคude befindet. Die Glรผhbirne markiert das Tor zu dem kleinen Grundstรผck und stellt die einzige Lichtquelle dar fรผr dutzende Kilometer. Dies kรถnnte ein Plan B darstellen, falls ich es nicht bis zur Kapelle schaffen wรผrde. Aber es sind ja nur noch 2 Kilometer bis dorthin โ optimistisch gesehen. Trotz des neuen Plan steigt das mulmige Gefรผhl. Irgendetwas stimmt hier nicht… ich weiss aber noch nicht was genau.
Ein Auto รผberholt mich mit hoher Geschwindigkeit und fรคhrt geradewegs in das Unwetter vor uns. Der hat wenigstens genรผgend Schutz in seinem Fahrzeug… Obwohl die Strasse schnurgerade ist, verschwinden seine Rรผcklichter nach nur wenigen Metern im Dunkeln. Irgendetwas stimmt hier nicht! Ich schaue nach rechts. Sand, Bรผsche, ein paar weisse Wolkenfetzen und weit, weit weg glitzern Sterne. Das gleich Bild auf der linken Seite. Nun fokussiere ich meinen Blick wieder nach vorne. Nur gibt es dort absolut nichts was ich fokussieren kรถnnte! Es ist komplett schwarz! Vor mir gibt es keine Sterne, keine Wolkenfetzen, keine Rรผcklichter, keine Blitze, keine Mittellinie, keine Strasse…. Irgendetwas stimmt hier ganz und gar nicht! Jetzt ist das Adrenalin voll da. Alle Sinne geschรคrft und in Bereitschaft loszurennen. Ich trete noch stรคrker in die Pedalen, unwissend, dass ich mich damit noch stรคrker in den noch unbekannten Gegner vor mich hineinkatapultiere. Mein Gehirn rattert gleichzeitig auf Hochtouren. Was ist direkt vor mir was ich nicht sehen kann und scheinbar die komplette Welt verschlingt?
Kurze Unterbrechung hier… gefรคllt dir was du liest?
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Die Erkenntnis kommt fast gleichzeitig mit dem unsichtbaren Gegner vor mir. In der letzten Sekunde reisse ich den Lenker nach rechts auf den Sandstreifen neben der Fahrbahn und werde unsanft durchgeschรผttelt. Ich mache eine Vollbremse und die Reifen verschwinden tief im Sand, trotzdem dauert es eine gefรผhlte Ewigkeit bis die Rรคder endlich zum Stillstand kommen. So schnell es geht reisse ich das Halstuch weit รผber mein Gesicht bis รผber die Augen und drehe den Kopf weg aus der Windrichtung. Dann รผberrollt mich eine Wand aus Sand. Tausende kleine Sandpartikel prallen รผberall an meinem Kรถrper ab. Jede ungeschรผtzte Stelle wird nun sandgestrahlt. Um mich herum ist es stockdunkel, noch nicht mal den Lenker kann ich sehen. Ich spรผre wie sich der Sand mit meinem Schweiss vermischt und sich so quasi eine zweite Hautschicht bildet.
Der Sandsturm dauert eine gefรผhlte Ewigkeit und wรคhrend ich so in dieser Hรถlle aus Sand ausharre, frage ich mich mal wieder โwas zum Teufel mache ich hier eigentlich?โ. Dann die Erkenntnis: der Sandsturm ist nur der Downwash von dem Gewitter dahinter. Also kommen nach dem Sandsturm die Blitze! Und ich stehe noch immer hier draussen mit einem Stahl-Fahrrad und komplett ohne Schutz. Es gibt also keine andere Mรถglichkeit als wie umzudrehen und versuchen diese eine Glรผhbirne zu erreichen um dort wenigsten um etwas Schutz bitten zu kรถnnen. Und obwohl ich noch wortwรถrtlich keinen Meter weit sehen kann, fahre ich nun also zurรผck. Ich spรผre wie die Reifen wieder auf den harten Asphalt kommen und erkenne direkt unter mir die Linie des Fahrbahnrand. Eigentlich muss ich nun nur dieser folgen und hoffen, dass diese nicht von irgendeinem Hindernis urplรถtzlich begrenzt wird. Der Wind blรคst nun so stark von hinten, dass ich ununterbrochen auf der Bremse stehe. Nach mehreren hundert Metern lockert sich der Sandsturm endlich und ich erkenne wieder gute 10 Meter vor dem Vorderrad. So geht es Stรผck fรผr Stรผck schneller voran. Mittlerweile mรผsste ich an dem Ort mit der Glรผhbirne sein und tatsรคchlich erkenn ich ein schwaches Leuchten inmitten des Sandsturms. Ich fahre zum Tor, klettere darรผber und laufe รผber den Fussballplatz. Beim zweiten Tor empfรคngt mich bereits ein Mann mittleren Alters mit seinen zwei รคltesten Sรถhnen. Er ist sichtlich verwundert um diese Uhrzeit und bei diesem Wetter noch jemanden anzutreffen und so ist seine Begrรผssung vorerst sehr zurรผckhaltend. Ich erklรคre ihm kurz meine Situation und sein Gesichtsausdruck erhellt sich schlagartig. Er bietet mir ein Stรผck Wiese inmitten von den Bรคumen zum campieren an โ keine Sekunde zu spรคt, denn die Blitze haben mich mittlerweile eingeholt und schlagen nur wenige Meter neben uns in die Erde ein. Was folgt ist ein Gewitter welches ich so noch nirgendwo gesehen habe. Im halbsekunden-Takt schlagen die Blitze ein, alle zwei Sekunden in unmittelbarer Nรคhe. Die Bรคume haben eine schwere Zeit und werden mehrfach getroffen. Nicht auszumalen was gewesen wรคre, wenn nicht dieses kleines Refugio hier gewesen wรคre. Wenn ich irgendwo alleine da draussen dieses Unwetter hรคtte รผberstehen mรผssen.
Denn, hier draussen bist du ganz alleine. Okay meistens zumindest ๐
Whatโs next?
Ich bin gerade ehrlich gesagt mit vielen Berichten etwas spรคt dran… die Story oben hat sich bereits vor fast 1.5 Monaten ereignet. Mittlerweile bin ich schon einiges weiter sรผdlich, habe Argentinien in Richtung Chile und somit auch die Pampa verlassen, habe eine mehrwรถchige Auszeit in einem kleinen Dรถrfchen bei Freunden verbracht und bin รผber einen weiteren Bergpass zurรผck nach Argentinien gefahren โ um wieder in der langweiligen Pampa unterwegs sein zu kรถnnen. Diesen Bericht schreibe ich zurzeit gerade in Junรญn de los Andes, also viele Kilometer weiter sรผdlich und bereits offiziell im Departamento Patagonien! Ja, es sind nicht mehr viele Kilometer bis zum โEnde der Weltโ und dem Ende dieser Reise (zumindest auf diesem Kontinent).
Wieso es zurzeit so wenig Berichte und Bilder gibt? Nun ja, eigentlich ist diese Frage einfach zu beantworten: keine Zeit. Die lรคngere Ausfรผhrung ist, dass ich wohl etwas zu lange bei meinen Freunden in Chile gewesen war, und mich nun sputen muss um noch vor dem Winterbeginn in Ushuaia anzukommen. Die wenigen Dรถrfer und die somit weniger vorhandenen Mรถglichkeiten an ein gutes Internet zu kommen sind dabei auch nicht gerade hilfreich. Ich werde mich aber auf jeden Fall bemรผhen den Blog einigermassen aktuell zu halten!
Was ich in Chile so getan habe? Schau hier