Paso Sico / 06:55 Uhr
Die ersten Sonnenstrahlen drücken durch den Staub der Wüste direkt durch das kleine Fenster in meinen Schlafsaal. Noch ist es ein bisschen ungewohnt so spät aufzustehen, nachdem ich in Bolivien wochenlang vor dem Sonnenaufgang aufstehen musste, um den starken Wind am Nachmittag zu vermeiden. Es ist aber nicht so, dass dieser hier nicht wehen würde, nur ist ein früherer Start aufgrund der argentinischen Arbeitszeiten nicht früher möglich.
Ich befinde mich an der Grenze von Chile und Argentinien und noch immer auf knapp 4000 MüM – oder eher wieder auf dieser Höhe. Denn…
Kurztrip in die Oase
Denn nachdem mich Bolivien einmal durch die Hölle gejagt hat (siehe hier), ging es erst mal 2500 Meter tiefer in die Wüstenoase von San Pedro de Atacama in Chile. Auf Asphalt und mit durchschnittlich 10% Gefälle waren die 50 Kilometer in weniger als 1.5 Stunden geschafft! Nach den wortwörtlich knochenerschütternden Ripio-Pfaden, was auf Spanisch soviel wie Waschbrett-Pfaden heisst, war der Asphalt eine wahre Wohltat und die hohe Geschwindigkeit absolut ungewohnt.
Der Unterschied zwischen Bolivien und Chile könnte grösser nicht sein und erinnerte mich stark an den Grenzübergang von Thailand und Myanmar. Während Bolivien das ärmste Land Südamerikas ist (BIP pro Kopf: $3393), ist Chile das reichste (BIP pro Kopf: $ 15’346) und genau so fühlte sich der Grenzübertritt an. Das kleine Betonhäuschen am Ende des Sandpfades hatte seine besten Zeiten schon lange hinter sich und ächzte laut im starken Nachmittagswind. Es wunderte mich schon fast ein bisschen wie der Grenzbeamte darin so gemütlich und tief schlafen konnte, er tat es jedoch. Selbst nach mehrmaligen lauten Klopfen auf den Türrahmen schnarchte er noch immer weiter. Es dauerte eine kleine Weile bis ich merkte, dass dieses Geräusch zu sehr den anderen Geräuschen entspricht. Und tatsächlich wachte er nach dem ersten lautem Räuspern auf. Etwas grimmig musterte er mich einmal von unten nach oben und, wohl aufgrund von meinem staubigen Äusseren und den tief dunkelbraunen Armen, wurde ich in die Kategorie „Ciclista“ eingeordnet. Zumindest war es das einzige Wort, welches ich verstanden konnte während er etwas vor sich hinmurmelte und mir die Hand hinstreckte um den Pass entgegen zu nehmen. Er musste echt müde gewesen sein, denn für den Ausreisestempel versuchte er nicht einmal eine „Gringotaxe“ zu erheben. Dieser Beamte war somit der letzte Bolivianer auf dieser Reise und er entspricht überhaupt nicht seinen restlichen Landsleuten. Denn diese waren alle absolut freundlich und jederzeit hilfsbereit. Und wenn man mal von den schlechten Strassen absieht, war Bolivien auch eines der schönsten Länder zum Radfahren auf der gesamten bisherigen Reise. So viele landschaftliche Highlights gibt es sonst nur selten!
Bis zum chilenischen Grenzposten sind es ab hier noch gute 3 Kilometer, aber nicht mehr auf Ripio, sondern auf Asphalt! Das Grenzgebäude dort ist brandneu und erinnerte mich mit seiner modernen Stahlstruktur eher an eine Talstation einer Bergbahn. Vor dem Gebäude warteten bereits dutzende Fahrzeuge auf Einlass, jedoch blieb das Tor noch viele Minuten geschlossen. Drinnen stand die bisher härteste Kontrolle an, welche ich seit Nicaragua über mich ergehen lassen musste – ja selbst der Iran hatte laschere Kontrollen! Jede einzelne Tasche wurde kontrolliert und selbst die Rahmennummer von Chocolate (ja mein Fahrrad heisst weiterhin Chocolate 😉 ), wurde auf einem separaten Formular vermerkt. Es dauerte über eine Stunde, bis ich auf der anderen Seite der Stahlstruktur wieder ausgespuckt wurde und endlich den langen Downhill in die Wüstenoase von San Pedro de Atacama in Angriff nehmen konnte. Nach zwei, drei Kurven tat sich ein riesiges Tal vor mir auf, welches über 2000 Meter tiefer liegt als wie der Altiplano – die Atacama Wüste. Mit durchschnittlichen jährlichen Niederschlagshöhen von 0.5mm ist es der trockenste Ort der Welt. Mittendrin leuchtete das Weiss der Salar de Atacama, einer weiteren Salzpfanne, welche aber im Vergleich zur Salar de Uyuni praktisch nur wie ein kleiner weisser Pixel aussieht. Die Strasse führte von hier direkt und mit praktisch keiner einzigen Kurve hinunter nach San Pedro de Atacama und wäre der Gegenwind nicht gewesen, hätte ich wohl einige Geschwindigkeitsrekorde aufstellen können. So aber war bei ca. 80km/h Schluss. Von anderen Radfahrern habe ich gehört, dass bis zu 130km/h möglich sind… man stelle sich mal diese Geschwindigkeit mit einem vollbepackten Tourenrad vor…
Auch in San Pedro wurde mir der grosse Unterschied zwischen Bolivien und Chile schnell wieder bewusst. Der Ort erinnert eher an einen kleinen Ort in der Wüste Nevadas als wie an ein Südamerikanisches Ausflugsziel. Einstöckige Häuser mit grossem Vorgarten und einer noch grösseren Mauer zierten die Strassen und je näher ich an die Plaza kam, umso mehr kamen Hospedajes und edle Hotels dazu. Dass die Stadt vom Tourismus lebt war kaum übersehbar und auch sofort in der Geldtasche spürbar. Obwohl ich einen kleinen Platz auf dem Campingplatz bezog und fast ausschliesslich selbst kochte, war es unmöglich innerhalb meines gesetzten Tagesbudget zu bleiben. Mit so hohen Ausgaben war ein längerer Aufenthalt unmöglich und ich hoffte, dass Massi (der Italiener welchen ich auf der Laguna-Route verabschieden musste) relativ schnell wieder aufholte. Zuerst stand jedoch aber etwas ganz anderes auf dem Programm: Neujahr!
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In der Innenstadt traf ich auf Andreas, welchen ich mitten in der bolivianischen Wüste schon einmal getroffen habe. Mit dem grossen Astra Logo auf der Brust und den braun-weissen St. Pauli Streifen auf dem Trikot kamen bei mir gleich etwas „Heimatgefühle“ auf, schliesslich habe ich ja mal eine Zeit lang in Hamburg gewohnt. Er war damals auf einer der Jeep-Touren und hat mich sofort kurz angehalten um zu „schnacken“. Wir schnappten uns ein paar Bier und eine Flasche Wein und begannen so den Neujahrs-Abend. Etwas ausserhalb der Oase fand noch eine illegale Party statt, jedoch waren die letzten Neujahrs-Feste in Mexiko und Thailand genug wild um es dieses Jahr mal etwas ruhiger angehen zu lassen und so endeten wir zusammen mit ein paar Chilenen im Innenhof seines Hotels am Grill bei ein paar Bierchen.Massi tauchte auch nach dem zweiten Ruhetag in San Pedro nicht auf und ich konnte aufgrund der hohen Kosten schlicht nicht länger auf ihn warten, und so fuhr ich drei Tage nach der Ankunft in der Oase weiter nach Süden. Die Strasse führte mich zuerst für über 100 Kilometer entlang der Salar de Atacama und somit über eine langweilige Ebene ohne nennenswerte Anstiege. Es war eine der typischen „Play and Ride-Strecken“, eine Strecke auf welcher man die Kopfhörer voll aufdreht und sich praktisch in Trance radelt zu einem verträumten DJ-Set von dem vergangenen Burning Man.
Kurz vor der Ortschaft Socaire war es aber mit der flachen Gegend vorbei, denn mein Plan war nach Argentinien zu fahren. Und dafür müssen nochmals die Anden überquert werden – entweder über den Paso de Sico oder den Paso de Jama. Letzteren war ich erst gerade vor ein paar Tagen von der bolivianischen Grenze nach San Pedro de Atacama runtergebrettert und stand somit nicht zur Auswahl (ich fahre prinzipiell keine Strecken zweimal). Also ging es über den Paso de Sico nach Salta, der erstgrösseren Stadt in Argentinien. Das bedeutet zurück auf 4600MüM fahren, dorthin, wo die Flamingos in den Lagunen festgefroren sind und jeweils bis zu den ersten Sonnenstrahlen warten müssen, damit sich das Eis wieder löst (kein Witz!).
Nun, den ganzen Tag eine Passstrasse hinauffahren ist eigentlich nach Peru kein grosses Problem mehr, nur windet sich diese Strasse von der Wüste aus hinauf in die Bergen. Das Wasser ist also knapp und muss von Socaire aus mitgeschleppt werden – Ich habe keine Ahnung wie schwer Chocolate genau war an diesem Morgen als ich in dem kleinen Dorf losgefahren bin, aber es war auf jeden Fall ein gutes Training für die Beine… oder so.
Zurück auf den Mond
Die Reifen rollten über einen sehr neuen Asphalt und nach mehreren Stunden klettern konnte ich endlich die ersten Lagunen in der Ferne glitzern sehen. Die Hitze der Wüste ist der Kälte der Anden gewichen und so konnte ich endlich mal wieder im Pullover durch diese fast mondähnliche Gegend fahren. Den Pass konnte ich an diesem Tag nicht mehr erreichen, dafür aber eine türkisblaue Lagune inmitten von schneebedeckten Bergen und Vulkanen. Tagsüber fahren hier viele Busse mit Touristen von San Pedro hoch, Abends sind jedoch bis auf ein paar Lamas und Flamingos sowie Millionen von Sternen niemand sichtbar. Perfekt also um zu campen
Noch bevor die ersten Busgruppen kamen, sass ich wieder im Ledersattel um noch die letzten Kilometer zu dem Gipfel zu erklimmen. Die Strasse führte von hier aus an vielen weiteren Lagunen vorbei und mit dem Schneefall der vergangenen Nacht gaben die Bergen, welche fast alle über 6500 Meter hoch sind, ein perfektes Postkarten-Motiv ab.
Ich erreichte die Grenze zu Argentinien am Nachmittag und musste erstmal hart in die Eisen steigen. Denn die Passhöhe ist nicht gleichzeitig die Grenze – diese kommt erst nach ein paar Kilometer Downhill und ist klar sichtbar, da der Asphalt abrupt endet an der Grenzlinie endet. Von hier aus führte eine Schotterpiste die restlichen Kilometer bis zum Chilenisch/Argentinischen Grenzposten, welcher sich inmitten einer Hochebene befindet.
Obwohl es noch früher Nachmittag war bei meiner Ankunft, wurde ich sofort eingeladen die Nacht in einem der Schlafsäle zu verbringen, welche extra für Reisende gebaut wurden. Normalerweise würde ich dieses Angebot ablehnen, aber da für weitere 80 Kilometer keine weitere Wasserquelle vorhanden war und der berüchtigte Altiplano-Wind bereits wieder kräftig an den Dachbalken rüttelte, sagte ich ja. Okay, aber vor allem wegen den zwei schönen Worten des Grenzbeamten: „dutcha caliente“ – eine heisse Dusche. Wer kann da schon nein sagen?
In der Unterkunft waren bereits schon zwei weitere Radreisende, Clement aus Frankreich und Agnes aus Polen. E
Die Radfahrer der Wolken
Und ja, hier bin ich nun… in einem internationalen Schlafsaal der argentinischen-chilenischen Grenzbehörde und schaue dem Staub zu, welcher vor dem Fenster durch die Gegend gewirbelt wird. Der Anblick macht nicht gerade Freude, das warme Bett zu verlassen, jedoch aber das bevorstehende Land. Argentinien ist bereits das 34te Land auf dieser Reise und es wird mich auch noch eine Weile begleiten. Denn bis nach Patagonien ist es noch eine sehr weite Strecke – über 6000 Kilometer um genau zu sein – und von da aus muss ich auch wieder 3000 Kilometer zurück in den Norden reisen um von Buenos Aires aus dann nach Europa fliegen zu können. Jup, es wird noch Monate dauern 😉 Aber das könnte auch was Gutes sein, denn von anderen Radreisenden habe ich gehört, dass Argentinien eine wahre Perle zum Radfahren ist. Gute Strassen, viele Zeltplätze mit Pools und Duschen, Tankstellen mit Croissants und Kaffee, gutes Essen (vor allem wenn man gerne Fleisch hat) und überall extrem freundliche und hilfsbereite Menschen. Also nix wie rüber ins Nachbarhaus um den Stempel zu erhalten!
Ganze drei Beamte braucht es um drei Radreisende durch die Grenze zu bringen, aber schlussendlich geht es trotzdem unkomplizierter als wie befürchtet und wir bekommen sogar noch ein paar Tortillas mit auf den Weg! Zu dritt fahren wir nun über die Hochebene und versuchen den übelsten Washboards auszuweichen, was zwischen schwierig und unmöglich ist.
Bis zur ersten grösseren Stadt, welche fast 120 Kilometer entfernt ist, bleibt die Strasse eine Schotterpiste und entsprechend länger benötigen wir dafür. Danach wird es allerdings ein grosser Spass, denn auf Asphalt geht es nun 3200 Höhenmeter runter bis nach Salta. Dabei folgen wir einer der berühmtesten Bahnlinie der Welt, der „Tren de las Nubes“, welche von 1187 Meter auf 4188 Meter hoch fährt – was auch den Namen des Zuges erklärt (Zug der Wolken).
Noch spektakulärer als wie die Bahnlinie sowie die Aussichten ist hier nur noch das Klima. Denn innerhalb kürzester Zeit fahren wir von der Wüste direkt in ein feuchtwarmes Klima mit dichter grüner Vegetation. Es ist ganz klar sichtbar wie weit die Regenwolken jeweils kommen.
In Salta angekommen trennen sich aber auch schon bereits wieder unsere Wege. Agnes bleibt nur eine Nacht und Clement fährt von hier aus zurück nach Hause. Ich bleibe allerdings ein paar Tage länger und fahre anschliessend weiter nach Süden um das ca. 1600km weit entfernte Santiago de Chile bis Anfangs Februar zu erreichen. Es ist einer der Fixpunkte auf der Strecke nach Patagonien, welcher bis zu einem gewissen Zeitpunkt erreicht werden muss, da sonst die Ankunft in Ushuaia vor dem Winter nicht mehr möglich wäre.
Kurz nach Salta geht es zurück in die Wüste, in welcher zurzeit Backofen-Temperaturen herrschen, und hinein in die Weinregion von Cafayate. Von da aus geht es auf der legendären Ruta 40 weiter bis nach Mendoza, die Weinhauptstadt von Argentinien. Aber dies alles zu einem späteren Zeitpunkt… jetzt gibt es erst einmal ein paar Ruhetage J
Gefahren Route: