
Mit dem Tod auf dem Trampolin
26. Juli 2018
Das Ende?
2. Oktober 2018Warte mal kurz… wie ging das schon wieder? Da vorne ragt dieses komische Gebäude in die Höhe, umgeben von den Bergen der Anden. Und ich kenne das Gefühl vor diesem Betonklotz zu stehen von irgendwo. Weit unten in der Bauchregion regt sich etwas, was ich seit langer Zeit nicht mehr gefühlt habe. Es ist das Gefühl, was sich jedes mal ausbreitet, wenn ich in die Nähe dieser Gebäude komme, denn diese Gebäude – oder eher deren “Bewohner” – entscheiden über meinen weiteren Reiseverlauf. Sie entscheiden darüber, ob man weiter kommt, ein neues Kapitel aufschlagen darf, oder ob man zurückgeschickt wird und somit vor einem organisatorischen Chaos steht. Ungefähr 200 Meter vor mir befindet sich der Grenzübergang von Ipiales, der letzten Stadt auf kolumbianischen Boden bevor es nach Ecuador geht. Kolumbien war nach den vielen kleinen Ländern Zentralamerikas endlich mal wieder eine Abwechslung was die Länge der Durchreise angeht (Story zu Kolumbien hier). Waren es vorher nur wenige Tage – oder teilweise sogar nur Stunden – vom einen Grenzübergang zum nächsten, so habe ich in Kolumbien ganze 6 Wochen verbracht! Also gibt es einen guten Grund für dieses komische Bauchgefühl, besonders auch weil mich in Ecuador viele landschaftliche Highlights erwarten. Aber vorerst muss ich durch diesen Betonklotz mit der “Custom” Beschriftung durch.
Neben mir steht Emanuel, ein Radreisender aus Deutschland, welcher ich vor fast einem halben Jahr in Mexiko kennengelernt habe und mittlerweile ebenfalls im Süden Kolumbiens angekommen ist. Zusammen haben wir die letzten Kilometer zur Grenze zurückgelegt und zusammen werden wir auch weiterreisen… zumindest vorerst mal bis Quito, der Hauptstadt Ecuadors.
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Der Grenzübergang scheint auf den ersten Blick wie jeder andere, wären da nicht die vielen Menschen und lange Warteschlangen. Die Krise in Venezuela macht sich hier besonders bemerkbar und so stehen viele Flüchtlinge mit teilweise nur einer Plastiktüte und ohne Schuhe in der nicht enden wollende Warteschlange. Die Flüchtlinge sind mir auch schon in Kolumbien teilweise am Strassenrand aufgefallen, jedoch ist dieser Anblick hier schon ziemlich krass. Emanuel und ich fahren um das Gebäude um zum Ende der Schlange zu kommen, fahren jedoch fast einen ganzen Kreis – die Wartezeit beträgt ungefähr einen ganzen Tag! Wir haben jedoch Glück, da es für alle “Nicht-Flüchtlingen” eine separate Warteschlange gibt. So prangt nach etwas mehr als 3 Stunden Wartezeit ein frischer Stempel in meinem komplett neuen Pass welcher erst vor wenigen Wochen in Bogota angekommen ist. Auf eine gute Zusammenarbeit und viele neue Stempel! Kurz vor dem Eindunkeln erreichen wir Tulcan, die erste Stadt in Ecuador, und bezahlen in US-Dollar für ein komfortables Hotelzimmer, welches uns noch etwas Ruhe und Entspannung vor der Monsteretappe vor uns ermöglichen soll. In Ecuador bezahlt man in US-Dollar, und so können wir uns zumindest für heute den Gang zum Bankautomat sparen und müde und voller Vorfreude auf ein neues Land ins bequeme Bett hüpfen.
TEMBR – Weil Berge nicht nur zum anschauen sind
Vor ein paar Jahren haben zwei Mountainbike-Verrückte Brüder sich gedacht “hey, Ecuador hat doch den Panamericana-Highway und extrem viele Berge… lass uns doch eine Radstrecke finden, welche nur über Dirtroads und die steilsten Bergen nach Süden führt. Einfach um mal ein paar Velofahrer in die Knie zu zwingen”. Keine Ahnung ob sie das wirklich so gedacht haben, aber nach ein paar Kilometer auf der TEMBR, der Trans-Ecuador-MountainBike-Route, war ich mir ziemlich sicher, dass dies die eigentliche Motivation der Dammer-Brüder war, als sie dieses Strecke kreierten. Die Strecke führt auf der Hauptstrasse aus Tulcan raus und damit endet auch gleich schon der Asphalt für eine ganze Weile. Ab hier folgt ein Mix aus Pflastersteine und steinigem Feldweg, welcher sich langsam in die Höhe zu den Paramos schlängelt. Der Weg ist zunächst ein Traum, da der Zustand ziemlich gut ist und über eine ganz gemütliche Steigung verfügt. So pedalieren wir uns Meter für Meter höher, bis es möglich ist sich auf das Radfahren zu konzentrieren. Vor uns erstreckt sich der Nationalpark von El Angel, ein Wald bestehend aus Paramos. Wir würdigen dieses Naturwunder mit zahlreichen Fotostopps und erreichen so kurz vor der Dämmerung den Bergpass wo man uns bei der Rangerstation campieren lässt. Wir befinden uns mittlerweile auf knapp 3800 Meter über Meer – ja, es ist saukalt, aber die Aussicht ist es Wert:
Tiefgefroren schaufeln wir am nächsten Morgen unser Müesli in unsere Münder und versuchen uns mit Kaffee aufzuwärmen. Dies ist auch bitter nötig, denn da wir uns auf der Passhöhe befinden, geht es ab hier nur noch abwärts – und das auch für eine ziemlich lange Zeit, denn wir müssen runter in ein Tal fahren, welches sich auf nur noch 1500 Meter über Meer befindet. Das macht 2300 Meter Downhill!
Mit dicken Handschuhen und allen Kleidern welche sich in unseren Radtaschen befinden machen wir uns auf die holprige Abfahrt. Dazwischen werden natürlich noch weitere Fotostopps eingelegt, wenn auch eher um sich dabei auch wieder aufwärmen zu können. Die Strecke ändert sich weiter unten wieder in den für Ecuador typischen Pflasterstein-Weg, welcher für uns Radfahrer allerdings so der ziemlich schlechteste Belag darstellt. Während dem rasanten Downhill werden wir ziemlich durchgeschüttelt und das Equipment wird bis zur seiner Belastungsgrenze getrieben. Dabei steigt die Temperatur kontinuierlich und die Stopps werden immer mehr dazu eingesetzt weitere Kleidungsstücke zu verlieren. Unterhalb von 2000 MüM erreichen wir eine wüsten-ähnliche Gegend, welche mich stark an Baja California in Mexiko erinnert. Hier weht ein starker Wind, welchen wir für ein paar Kilometer auf der Panamericana bekämpfen müssen, bevor eine weitere Abzweigung zurück auf Pflastersteine führt und wieder zurück in die Berge hochsteigt. Die wüsten-ähnliche Umgebung sorgt auch prompt für sein erstes Opfer… ein Kaktus sorgt für einen Plattfuss, welcher uns in der Zeitplanung weit nach hinten wirft. Während ich das Loch suche, geniesst Emanuel einen wunderschönen Sonnenuntergang inmitten von Wüsten und Bergen. Erst bei kompletter Dunkelheit können wir unsere Fahrt fortsetzen und es fehlen noch gute 300 Höhenmeter bis zur Spitze. Unser angepeilter Campingplatz (unter deutscher Führung) liegt irgendwo hinter der Bergkette und so beten wir, dass nicht nochmals ein verirrter Dornen seinen Weg in einen unserer Reifen findet. Eigentlich fahre ich nicht bei Dunkelheit, da es hier aber sowieso keinen Verkehr gibt, können wir die “Nachtfahrt” gut geniessen. Als dann doch ein Auto aus der Dunkelheit erscheint staunen wir zuerst nicht schlecht, nur um kurz darauf panisch die Strasse zu verlassen, da dieser Wahnsinnige direkt auf uns zuhält – obwohl wir doch bereits abseits der Strasse stehen. Wenige Meter vor uns kommt das Fahrzeug zum stehen und erst jetzt erkennen wir die blaue Beschriftung auf weissem Lack. Der Wahnsinnige stellt sich als ein vollbeladenes Polizeifahrzeug heraus, welche uns natürlich sofort in die Mangel nehmen. Touristen sind hier praktisch inexistent und so sorgen wir nun für einigen Trubel. Nach den obligatorischen Fragen lässt man uns jedoch gehen und so erreichen wir doch noch spätabends den angepeilten Campingplatz welcher direkt an einer Lagune liegt. Die Lagune ist jedoch nicht das beste, sondern die Tatsache, dass man hier das Toilettenpapier in die Toilette schmeissen kann! Unglaublich in Südamerika!
Zwei Tage später zeigt uns die TEMBR zum ersten Mal seine herausfordernde Seite. Wir erreichten am Vorabend Otavalo, eine Ortschaft welche vor allem für seine Ponchos und Kunstwaren bekannt ist, konnten jedoch die Fahrt nicht vorsetzen da ich noch eine Speiche beim örtlichen Radmechaniker ersetzen musste (habe ich schon erwähnt wie herausfordernd die TEMBR für das Equipment ist?). Von Otavalo aus führt ein weitere Pflastersteinweg steil in die nächste Berge hinauf. Die Steigung kombiniert mit dem Untergrund ist dabei eine echte Herausforderung, welche ich so bisher praktisch noch nie hatte. Mühsam kämpfen wir uns Meter für Meter höher und erreichen nach 4 Stunden Uphill endlich die Lagune “Mojanda” auf knapp 4000 MüM.
Hier gäbe es einen wunderschön gelegenen Campingplatz direkt an der Lagune, da es jedoch erst Mittag ist, entscheiden wir uns für die Weiterfahrt (zudem ist es saukalt hier oben). Und ab hier wird das ganze Vorhaben etwas kompliziert, denn trotz Smartphones und GPS verfahren wir uns auf den kleinen Feldwegen und Singletracks und finden nur Dank Pfadfindern zurück auf den richtigen Weg. Da wird einem der Begriff Pfadfinder nochmals so richtig bewusst 😉
Nach einem längeren Downhill schlagen wir ausserhalb eines kleines Dorfes unsere Zelte auf. Ab hier folgen wir einer stillgelegten Bahnlinie bis nach Tumbaco, welche nicht nur direkt bei Quito liegt, sondern auch eine Casa de Ciclistas hat. Casa de Ciclistas gibt es überall in Lateinamerika und bieten den Radfahrern nicht nur eine Unterkunft, sondern auch ein Treffpunkt um sich mit anderen Reisenden zu treffen und Kontakte zu knüpfen. Auch für organisatorische Angelegenheiten sind solche Casas optimal, und genau das wird nun meine nächste Aufgabe werden…
Bürokratie und Idiotie
Tumbaco sollte eigentlich ein Ort werden um zu entspannen. Ein Ort wo man einfach mal den ganzen Tag in der Hängematte liegen kann um sich von den vielen Bergen zu erholen und um sich auf die nächsten vorzubereiten. Aber es kommt leider alles ganz anders…
Damals bei der Grenzstadt Tulcan, dem ersten Tag in Ecuador, habe ich ein neues Zelt bestellt. Ich liebe mein kleines und vor allem leichtes MSR Hubba, doch in letzter Zeit musste ich doch feststellen, dass es mittlerweile Zeit wird dieses zu ersetzen. Bei dem vielen Regen in Kolumbien musste ich einfach zu oft morgens in einer Pfütze aufwachen, da das Zelt schlicht nicht mehr dicht ist. Zudem wurden kleinere Reparaturen schon fast zur Tagesaufgabe da das Material einfach mittlerweile durch ist. Und dann kommt da auch noch das stürmische und kalte Wetter in den Bergen und vor allem in Patagonien dazu. Zeit also sich ein 4-Saison-Zelt zuzulegen, welches all diesen Widrigkeiten standhält. Eine solche Qualität findet man allerdings auch in den besten Outdoor-Shops in Ecuador nicht, weswegen ich das Zelt in den USA bestellt habe. Allerdings wusste ich damals noch nicht was für eine elendige Arbeit ich mir damit aufgebrockt habe.
Nicht alles ist an der Warterei in Quito schlecht. Hier ein paar Eindrücke der Stadt:
Alles beginnt mir der unscheinbaren Notiz von FedEx, dass das Paket am Zoll eine “Clearance delay” hat, was vorerst ja mal noch nichts schlimmes heissen muss. In der Casa habe ich das Glück, dass Wartezeit weniger ein Problem darstellt als wie in Hostels. Einen Tag später heisst es dann aber per Mail, dass eine Handlung erforderlich wäre. Also in den nächsten Bus hüpfen und zum FedEx Büro in Quito fahren. Dort wird mir erklärt, dass ich eine Importlizenz benötige um das Zelt ins Land rein zu bringen. Was erstmal auch nicht sonderlich schwer klingt, wird jedoch ab hier Tag für Tag unmöglicher. Es folgen 2 Wochen mit täglichen Busfahrten nach Quito, um von dem einen Amt zum nächsten zu gehen, nur um schlussendlich wieder vor einem anderen Ministerium mit einer negativen Antwort zu stehen. Kleine Teilerfolge werden von weiteren benötigten Unterlagen zur Nichte gemacht und je länger je mehr wird mir klar, dass es nicht nur Unmöglich ist das Zelt ins Land zu bringen, sondern es auch viel zu teuer wäre da die Importkosten den Kaufpreis des Zelts fast übersteigen. Es ist die idiotischste und korrupteste Bürokratie mit welcher ich jemals in Kontakt kam, und ich stehe denen absolut machtlos gegenüber. Also gebe ich auf, kaufe einen Imprägnierspray um das Zelt wenigsten für ein paar Wochen wasserdicht machen zu können und fahre auf der TEMBR weiter in Richtung Süden.
TEMBR die Zweite. Das war noch nicht alles!
Ein Vorteil hatte der ganze Kampf mit dem Zoll dann doch… mein Bürokratie-Spanisch ist nun besser als jemals zuvor und ich kenne nun so ziemlich jedes Zollgesetzt von Ecuador. Also falls mal jemand eine Frage dazu hat… schickt ne Nachricht! 😉
Der Nachteil ist, dass Emanuel bereits seit fast zwei Wochen wieder unterwegs ist und sich bereits kurz vor der Grenze nach Peru befindet. Dafür gesellt sich ein neuer Reisekumpane an meine Seite: Nick ist seit 3.5 Jahren unterwegs, ist von England nach China gefahren, hat Australien und Neuseeland durchquert und ist nun auf dem “finalen” Abschnitt nach Patagonien unterwegs. Zusammen machen wir uns auf die nächsten Kilometer der TEMBR, welche die härtesten werden und die bisherige Fahrt wie eine Sonntagsausfahrt aussehen lassen sollen – doch das wissen wir jetzt noch nicht.
Die Verabschiedung nach so langer Zeit von Santiago, dem Jefe der Casa de Ciclistas, sowie den anderen Radreisenden fällt schwer, aber die Freude überwiegt doch eindeutig.
Wir verlassen Tumbaco über eine verkehrsreiche Strasse welche direkt ins Herz von Quito führt und begeben uns wieder auf einen von den vielen Pflasterstein-Wegen. Der Weg ist brutal steil und lässt mich bis an die Grenzen gehen. Jetzt spüre ich jedes einzelne Gramm in den Packtaschen und zwischen dem Luft holen überlege ich, was ich wohl noch so einsparen könnte. Nick hat es da etwas besser, denn er ist Bikepacker und verfügt somit über einiges weniger an Gewicht. Trotzdem ist es für uns beide eine grosse Herausforderung, sowieso nach den vielen Ruhetagen dazwischen.
In der Dämmerung schmeissen wir uns müde und erschöpft in die Wiese direkt neben dem Weg. Noch kurz das Zelt aufbauen und Quinoa auf dem Benzinkocher köcheln und dann ab ins Bett. Oder doch nicht…? Kurz bevor es ganz Dunkel wird, lockern sich die Wolken und dann steht er vor uns: der mit 5897m zweithöchste Berg Ecuadors, der Cotopaxi.
Seine mit Schnee bedeckte Spitze leuchtet in den letzten Sonnenstrahlen und schafft einen schon fast magischen Anblick. Wir befinden uns nur etwa 80 Kilometer vom Äquator entfernt, können aber jedoch Schnee sehen! Das Gefühl ist überwältigend nach fast einem Jahr endlich mal wieder Schnee zu sehen. Auf der anderen Seite unseres Campingplatzes beginnt kurz darauf das zweite Highlight zu leuchten. Weit unter uns erstrecken sich die Lichter von Quito auf einer Länge von fast 50 Kilometer. Wie schon gesagt, der Anblick ist überwältigend!
Der Wind setzt kurz nach dem Sonnenaufgang am nächsten Tag ein – und er wird auch so schnell nicht wieder verschwinden. Wir kämpfen uns gegen Böen von über 100km/h weiter hinauf in Richtung Cotopaxi. So majestätisch der Berg auch vor uns aufragt, wir können den Anblick bei diesem Wind nicht so richtig geniessen. Also Kopf runter und weiter treten. Für mehrere Kilometer folgen wir einem weichen sandigen Weg entlang einem Fluss, welcher anscheinend aus dem Bergmassiv vor uns entspringt. Die Millionenstadt Quito bezieht einen Grossteil seines Wassers von den umliegenden Bergen und eventuell findet auch dieses Wasser bald schon seinen Weg in einen der vielen Haushalte. Nach einer guten Stunde endet der Weg an einer Brücke welche durch grosse Felsen versperrt ist. Anscheinend will man nicht dass hier die Leute den Fluss queren, wir haben jedoch keine andere Möglichkeit und tragen somit unser Hab und Gut über die Felsen. Das Ganze dauert in dem starken und kalten Wind eine gefühlte Ewigkeit.
Ziemlich durchgefroren erreichen wir wenige später auf knapp 4000 MüM die Tombopaxi Lodge, ein Holzhaus mit warmen Kamin und noch wärmeren Speisen, welche jedoch auch jede Menge Geld kosten. Obwohl wir beide mit äusserst knappen Budget reisen, gönnen wir uns dennoch ein “Almuerzo”, ein Mittagessen mit Suppe, Hauptgang, Dessert und Getränk. Wir bezahlen dafür ungefähr die dreifache Summe von dem, was wir sonst durchschnittlich in der Casa de Ciclistas pro Tag ausgegeben haben. Aber manchmal muss man sich einfach mal etwas leisten, da sonst die Lust an dem ganzen Abenteuer verloren geht.
Frisch gestärkt und gut aufgewärmt verlassen wir die Tambopaxi Lodge und stellen uns wieder dem Wind. Bis zur Passhöhe sind es nur noch wenige Höhenmeter und der Cotopaxi ragt nun in nächster Nähe vor uns in die Höhe. Zeit also für viele Fotostopps.
Der Cotopaxi ist der meistbestiegene Berg Ecuadors, was jedoch aufgrund seiner vulkanischen Aktivität doch etwas verwundert. Erst 2015 war der Vulkan äusserst aktiv und stiess eine über 8km hohe Rauchwolke aus und verursachte mehrere kleine Erdbeben. Bei einem Ausbruch würden wir hier innerhalb einer Minute gegrillt werden! Doch heute ist alles ruhig und so sausen wir nun die Strasse auf der anderen Seite hinab. In einem kleinen Dorf weiter unten campieren wir windgeschützt in einem kleinen Häuschen auf dem örtlichen Fussballplatz. Die Strecke führt uns von hier wieder zurück auf fast 4000 MüM. Dabei überqueren wir noch kurz den Panamericana-Highway und sind trotz den vielen zusätzlichen Steigungen froh, auf der praktisch verkehrsfreien TEMBR unterwegs zu sein. Zu unserem Glück folgt die TEMBR hier keinen Pflastersteine-Wegen mehr, aber dafür einer sandigen aber griffigen Piste welche in die weichen grünen Hügel reingeschlagen wurde.
Am Nachmittag erreichen wir die Passhöhe, welche wir aufgrund der starken Windböen aber sofort wieder verlassen. Der Wind hat über Nacht nochmals eine Spur zugelegt und erfasst uns nun mit bis zu 160km/h – zu unserem Glück nun als Rückenwind. Auf dem folgenden Downhill werde ich öfters beinahen in die Schlucht hinuntergeweht. Das Abbremsen vor den Kurven wird nun zur einer heiklen Sache, denn der Wind drückt teilweise so stark nach vorne, dass beide Räder blockieren müssen um rechtzeitig die gewünschte Geschwindigkeit zu erreichen. Nach einem langen Downhill und vielen brenzligen Situation erreichen wir das etwas windgeschützte Dorf Isinlivi weit unten im Tal. Die Berge führen hier in einem kräftigen Grünton an allen Seiten steil in den Himmel und somit wissen wir, dass auch morgen ein anstrengender Tag mit vielen Uphills auf uns wartet. Zu unserem Glück können wir das alles zumindest für heute in einem Jacuzzi uns später in der Sauna vergessen, denn das Hostel, welches uns auf seinem Rasen campieren lässt, hat für ein Hostel jeden erdenklichen Luxus zu bieten. Direkt neben uns grast das hauseigene Lama und der Wind hat mittlerweile auch etwas abgegeben. Nach den anstrengenden letzten Tagen schlafen wir wie Babys.
Nach einem ausgiebigen Frühstück starten wir den nächsten Tag direkt in die nächsten Hügel. Die Strasse führt mal wieder brutal steil nach oben und der lose Kies dient dabei auch nur bedingt. Aus unerfindlichen Gründen erreichen wir dennoch den vorerst höchsten Punkt und können nun den Ausblick über das grüne Tal geniessen. Es erinnert ein wenig an die Schweiz!
Vor uns führt die Strasse wieder zurück in ein weiteres Tal, welches allerdings nur wenig Grün ist, dafür sehr trocken und sandig. Der Weg aus diesem Tal hinaus wird zur grössten Herausforderung auf der gesamten TEMBR-Strecke. Er ist nicht nur steil, sondern auch noch auf sandigem Untergrund und extrem starken Gegenwind. Es ist so ziemlich das schlimmste, was man als Radfahrer haben kann.
Nach unzähligen weiteren kurzen Uphills gefolgt von kurzen Downhills erreichen wir gegen Abend das Dorf Zumbahua wo wir mal wieder eine Nacht auf dem Fussballplatz verbringen. Die Entspannung von gestern nach dem Jacuzzi ist total weg und mit müden Beinen verabschieden wir uns ins Zelt.
Von Zumbahua aus folgt die TEMBR weiteren Kiesstrassen über grüne Hügel nach Süden. Die Anstiege bleiben steil und jeder Tag wird eine Herausforderung, welche aber auch mit unvergleichlich schönen Ausblicken belohnt wird. Wir befinden uns auf der letzten Bergkette, bevor es hinunter an die tropische Küste geht. Dort herrscht zurzeit schlechtes Wetter, weshalb wir immer oberhalb von einem Wolkenmeer unterwegs sind.
Nach zwei weiteren Tagen erreichen wir spätabends das Dorf Salinas de Bolivar, welches touristisch sehr gut erschlossen ist und uns somit mit “Western-Food” versorgt. Man muss dazu sagen, dass die ecuadorianische Küche nicht gerade ein kulinarisches Highlight ist, besonders wenn man bereits davor für mehrere Monate durch Lateinamerika geradelt ist. Wir geniessen daher zwei Familien-Pizzen, was dem Koch grosse Augen beschert. Ja, diese Gringos haben Hunger!
Von Salinas aus führt eine kleine Dirtroad auf 4450 MüM und wir sind froh endlich mal die 4000er-Marke geknackt zu haben. Das Ganze wird jedoch noch besser, denn heute kommt das Sahnestück der TEMBR: der nicht mehr aktive Vulkan “Chimborazo”, der mit 6268m höchste Berg Ecuadors. Die Bergspitze ist der von der Erdmitte am weitesten entfernte Punkt der Welt. Selbst der Mt. Everest ist somit kleiner als der Chimborazo! Und das beste: eine Dirtroad führt in einer gemütlichen Ansteigung hinauf zum Refugio auf 4850 MüM, wo es auch einen Campingplatz gibt. Direkt nach der Passhöhe ragt das Ungetüm vor uns in den Himmel, wobei seine Spitze noch von ein paar Wolken verdeckt wird. Natürlich wird es wieder Zeit für Fotos:
Gegen den späteren Nachmittag kämpfen wir uns die letzten Meter hinauf zum Refugio. Obwohl der Steigungswinkel der Strasse sehr gering ist, verhindert die dünne Luft einen gemütlichen Anstieg. Als wir endlich das Refugio erreichen, sind wir froh als wir dort Empanadas und Kaffee entdecken. Wir schlagen unsere Zelte etwas windgeschützt ein paar Meter neben dem Refugio auf und beginnen unser Abendessen zu kochen. Trotz der Höhe funktioniert der Benzinkocher erstaunlich gut, fast besser als wie in den niedrigeren Gebieten. Als es bereits dunkel wird, gesellt sich noch ein Motorradfahrer aus England zu uns, und so diskutieren wir übers Reisen und was die dünne Luft mit einem so alles anstellen kann. Der Chimborazo ist nicht nur das Highlight der TEMBR, sondern auch der höchste Punkt auf der gesamten bisherigen Reise. Vor einem halben Jahr campierte ich auf dem Nevado de Toluca in Mexiko, welcher mit seinen 4650 MüM knapp an den jetzigen Campingplatz herankommt. Allerdings war das Camp nochmals 300 Meter unterhalb der Bergspitze. Schlafen war damals aufgrund der Höhe nur schlecht möglich und ich erinnere mich an eine lange Nacht. Aber wie es scheint, bin ich nun einiges besser anklimatisiert und bekomme so doch noch genügend Schlaf.
Länger als wie sonst bleiben wir am darauffolgenden Morgen im Zelt liegen und warten bis die Sonne uns wieder aufwärmt. Die Nacht war mit ca. -3 Grad zwar kalt, aber dank guter Ausrüstung doch sehr gemütlich. Ab hier folgt ein langer Downhill zurück zur Panamericana, wo wir beschliessen die TEMBR bis kurz vor Cuenca zu verlassen um etwas Kilometer machen zu können. So schön die Dirtroads auch sind, wir schaffen darauf selten mehr als wie 40 Kilometer pro Tag und müssen doch auch noch etwas vorwärts in Richtung Süden kommen, bevor das Wetter in Patagonien wieder umschlägt. Aber direkt vor uns liegt nun Peru, ein Land welches ebenfalls praktisch nur aus Bergen besteht und wo es auch viele weitere Dirtroads gibt. Ich will auf jeden Fall so viele wie möglich befahren und tröste mich somit mit diesem Gedanken, während auf dem Panamerican-Highway grosse Trucks ihre Dieselwolke in meine Richtung ausstossen. Nach 10 Tagen unterwegs erreichen wir ein paar Tagen nach diesem Entscheid die Stadt Cuenca und geniessen endlich mal wieder Tage ohne Radfahren. Von hier aus startet die Planung für Peru und wir alle können es kaum erwarten. Und übrigens, mein Zelt schaffte es bis jetzt nicht durch den Zoll und wird wohl für immer da bleiben… Ecuador du bist so schön und wären deine korrupten Politiker und Beamten nicht, so wäre die Reise hier noch viel schöner geworden!
Übrigens, so sieht es aus wenn wir mal nicht auf einem Fussballplatz übernachtet haben:
Alle Bilder von Ecuador hier
Gefahren Route: