Keine Zeit zum lesen? Sieh dir das Video am Ende des Beitrags an.
Staubschwaden ziehen im Scheinwerferlicht vorüber und verschwinden wieder im Dunkeln auf der linken Strassenseite. Die Sonne ist noch nicht ganz hinter den dürren Hügeln in der Berge verschwunden, jedoch ist es zwischen den Häusern von Santo Domingo bereits stockdunkel. In langsamen Tempo kurven wir über die staubigen Strassen dieses vergessenen mexikanischem Dorfes, während alle zwei Sekunden die Hupe die Stille durchbricht. Neben mir sitzt Roro, auf seinem Knie sein jüngster Sohn, und daneben seinen Sohn aus zweiter Ehe – wir teilen uns kurzerhand den Beifahrersitz, denn hinten sitzen ebenfalls bereits vier Personen. Sicherheitsgurte? Ähm nope…, maximale Beladung beachtet? Maximale Was?? Aus den Boxen dröhnt Filmmusik, aber nicht irgendeine Filmmusik, sondern “Spiel mir das Lied des Todes”. Obwohl unser Pferd aus Aluminium besteht, fühle ich mich in einem stilechten Western. Acht Cowboys unterwegs um etwas essbares im Dorf zu finden 😉
Wir kamen vor ein paar Tagen in Santo Domingo an, nachdem wir die Pazifikküste hinter uns gelassen haben und durch eine windige und todlangweilige Ebene gefahren sind. Der Wind hat so stark von der Seite geblasen, dass wir nicht selten beinahe in den Strassengraben gefallen sind. Wir sind übrigens Christian, Christina (nein noch immer kein Witz!) und ich. Da wir ohnehin alle nach San Cristobal de las Casas wollen, der letzte grosse Stopp bevor es (endlich) nach Guatemala geht, quälen wir uns somit gemeinsam durch die heisse Ebene. Glücklicherweise liegt allerdings noch eine grössere Bergkette vor uns, welche demnächst wieder für Abkühlung sorgen wird.
Unsere Weiterfahrt verzögert sich allerdings etwas, denn Roro’s Garten mit riesigen Mango-Bäumen ist einfach zu perfekt zum zelten. Hier kann man in der Hängematte liegen und das Essen fällt einem wortwörtlich in den Schoss – wenn auch nur Mango’s und das dafür ununterbrochen. So wird aus der geplanten einen Nacht ganze fünf bevor wir wieder unsere Räder bepacken und weiter nach Südwesten fahren. Die nächsten 230 Kilometer haben es in sich – zuerst geht es über einen Berg nach Tuxtla und von da aus in das 2100 Meter über Meer gelegene San Cristobal de las Casas. Trotz der Hitze meistern wir den ersten Berg relativ schnell und finden uns somit am Abend bei angenehmen Temperaturen bei der Proteccion Civil wieder, welche uns unsere Zelte in ihrer Station aufbauen lassen. Unser Essen brutzelt gerade auf dem Kocher, als ein Sanitätsfahrzeug von seinem Einsatz zurück kommt. Noch bevor das Fahrzeug komplett still steht, geht die Tür auf und eine Sanitäterin rennt raus und aufs Klo, wo sie erstmal ihren gesamten Mageninhalt wiedergibt. Währenddessen reinigen ihre Kollegen das Innere des Fahrzeugs – mit dem Gartenschlauch! Ich möchte nicht wissen was die Sanitäterin alles sehen musste… zumindest nicht vor dem Essen.
Wir erreichen Tuxtla am Mittag des nächsten Tages und steuern direkt weiter in das benachbarte Chiapa de Corzo, von wo aus Boote in den Canon del Sumidero starten, der Grand Canyon von Mexiko sozusagen. Auch wir wollen ein solches Boot besteigen und beschliessen daher direkt an der Anlegestelle zu campieren. Chiapa de Corzo ist ein schönes kleines Kolonialstädtchen, welches man aber nicht wirklich geniessen kann aufgrund der Hitze. Um hierher zu kommen, mussten wir hart erkämpfte Höhenmeter wieder vernichten und befinden uns somit jetzt auf nur noch 400 Meter über Meer. Selbst die Nächte kühlen nicht wirklich ab, und so liegen wir nachts schwitzend auf unseren Luftmatratzen in den Zelten. Die seltenen Windstösse schaffen ebenfalls keine grosse Erleichterung. Wir sind froh als wir am nächsten Morgen das Boot besteigen, welches mit Hochgeschwindigkeit durch den Canyon rast und dabei für eine super Abkühlung sorgt. Bis zu einem Kilometer hoch ragen die Felswände welche links und rechts von uns in den Himmel ragen. Auch die Tierwelt hier ist beeindruckend – selbst Krokodile sonnen sich auf den Felsen in der Sonne. Leider ist wie so oft die Verschmutzung ein grösseres Problem, und gerade in Ufernähe ist der Abfallberg riesig. Schade!
Subida! Einmal rauf und nie mehr runter
In der kompletten Dunkelheit brechen wir unsere Zelte ab und hoffen auch ja nichts vergessen zu haben. Es ist 5 Uhr Morgens und wir befinden uns noch immer bei der Bootsanlegestelle. Als wir von dem Ausflug in den Canyon zurückkamen, war es einfach viel zu spät um noch irgendwohin zu starten. Zu heiss brennte die Sonne hinunter. Also steigen wir in die Pedalen während es in den Häusern um uns herum noch dunkel ist, und folgen unseren Lichtkegeln zurück auf den Highway. Das Profil des heutigen Tages muss direkt aus der Hölle kommen… anders kann ich mir die zu erklimmenden Höhenmeter auf die wenigen Kilometer nicht erklären – 2400 Höhenmeter auf knappe 70km! Das macht… ähm… ziemlich viele Höhenmeter pro Kilometer. Sowieso, da es noch zwei kleine Downhills dazwischen hat und die Steigung somit noch etwas mehr beträgt als sowieso schon. Also muss Kaffee her, allerdings ist dies um diese Uhrzeit nicht so einfach zu bewerkstelligen. Erst als wir auf den Highway einbiegen, sehen wir zwei Strassenstände welche bereits geöffnet haben. Vor einem steht einer dieser Geldtransporter, welche durchaus auch als Panzer bezeichnet werden können. 4 Männer mit Pump-Guns sitzen vor einem Strassenstand auf kleinen Plastikstühlen und trinken Kaffee. Also zumindest sieht es von weitem so aus, als wäre es Kaffee. Was wir schlussendlich trinken, wird auch als Kaffee bezeichnet, sieht allerdings nicht so aus und schmeckt auch nicht so – und seit wann bitteschön schüttet man Reis in den Kaffee?? Als Kaffeeliebhaber ist es zwar eine absolute Zumutung, allerdings musste ich schon schlimmere Kaffee-Entwürdigungen über mich ergehen lassen und die Aussicht auf 2400hm ohne Kaffee lässt mich die lauwarme Brühe schlucken. Tatsächlich scheint das Gebräu auch etwas Koffein zu haben, denn die schweren Augenlieder fühlen sich tatsächlich etwas leichter an. Also fahren wir los – 100 Meter noch flach, danach für 48 Kilometer nur noch aufwärts! Wahnsinn 🙂
Der Highway von Chiapa de Corzo hoch nach San Cristobal de las Casas ist eine der Strassen, welche ich den ganzen Tag fahren könnte, obwohl es nur hoch geht. Denn der Steigungswinkel hält sich in Grenzen und so schlängelt sich die Strasse langsam aber gemütlich entlang den Bergen immer weiter nach oben. Zudem gibt es praktisch keinen Verkehr mehr, seit der mautpflichtiger Highway eröffnet hat, welcher in viel weniger Kurven und somit viel schneller nach oben führt.
Als die Sonne aufgeht, können wir in der Distanz noch Chiapa de Corzo sowie Tuxtla sehen. Wir haben somit bereits die vernichteten Höhenmeter runter nach Chiapa de Corzo wieder gut gemacht, und auch die Temperaturen sind trotz der Sonne noch nicht wirklich gestiegen.Den letzten Verkehr vor San Cristobal de las Casas sehen wir am Militär-Checkpoint, von welchem eine weitere Strasse in das Hinterland von Chiapas abzweigt. Ab hier sind wir praktisch ganz alleine unterwegs. Und das haben wir auch so vorbereitet, denn Läden, Restaurants oder auch nur ein Café ist hier absolute Mangelware. Es gibt fast keine Ortschaften und so mussten wir uns etwas auf diese Strecke vorbereiten. Meine Taschen sind voll mit Sandwiches, und alle Trinkflaschen-Halter belegt – 4.5 Liter Wasser, sowie noch eine 1-Liter Flasche Powerade auf dem Gepäckträger. Zusätzliches Gewicht, welches sein muss. Obwohl die Vorbereitungen auf solche Etappen nervig sind, sind es meistens genau diese Strassen welche einem lange in Erinnerung bleiben. Wir haben eine perfekte Strasse in einer unglaublich schönen Umgebung nur für uns alleine!
Um uns herum breiten sich sanfte Hügel aus, die meisten davon gerodet und mit Maisfeldern ersetzt. Menschen mit extrem dunkler und wettergegerbter Haut sowie sehr bunten Klamotten sitzen dazwischen und bewirtschaften die Felder. Ihr Blicke schwanken zwischen Leere und Verachtung. Eines ist klar, wir sind hier nur geduldet, aber nicht gewünscht. Denn hier sind wir im Land der EZLN, der letzten grossen mexikanischen Widerstandskämpfer, und Touristen sind hier in etwas so erwünscht wie kapitalistische Grossunternehmen, welche die Bauern mit einem miesen Kaffee-Preis unterdrücken. So lassen wir die Kamera in den Taschen und nicken allerhöchstens freundlich – auch wenn diese Geste niemals erwidert wird. Gegen Mittag erreichen wir Kilometer 48 und somit die erste paar Häuser seit der Abfahrt in Chiapa de Corzo. Der Bundesstaat Chiapas ist für seinen Kaffee weltbekannt und genau das brauchen wir jetzt ganz nötig. Allerdings stellt sich das als ziemlich schwierig heraus. Cafés oder Restaurants gibt es keine, nur kleine Läden (Tiendas), welche zwar Kaffee verkaufen, allerdings nur in Säcken. Unsere müden Gesichter verfehlen aber nicht ihre Wirkung, und eine Ladenbesitzerin hat Mitleid und macht uns einen ganzen Liter Kaffee. So sitzen wir an einer Strasse im Nirgendwo auf dem Bänkchen vor einer Tienda und beobachten wie Tuk Tuks Menschen in bunten Klamotten direkt vor uns einladen, welche anschliessend scheinbar ins Nirgendwo laufen (ja irgendwo da hinten müssen ein paar Hütten sein).
Der Kaffee sorgt für die nötige Power und so erklimmen wir am frühen Nachmittag den höchsten Punkt der Strasse. Ab hier geht es etwas runter, nur um dann nochmals genau so viel aufzusteigen worauf es dann endich runter nach San Cristobal de las Casas geht. Die Stadt ist wie eine touristische Oase inmitten der Bergen. Während wir den ganzen Tag keine anderen “Gringos” gesehen haben, sind wir plötzlich umgeben von lauter Touristen. Direkt am Zocalo (Stadtplatz) gibt es erstmal einen Kaffee sowie WiFi um eine günstige Unterkunft zu finden. Der Tag hatte es echt in sich, war aber mal wieder ein gute Erfahrung. Schon wahnsinnig teilweise welche Strecken man mit einem 65kg schweren Rad an einem Tag bezwingen kann. Das wäre auf jeden Fall am Anfang der Reise noch nicht möglich gewesen 😉
Im Land der Guerillas
Christian und Christina fahren wenige Tage später weiter, ich bleibe allerdings noch ein bisschen, da die Stadt echt schön ist und ich noch auf Ersatzteile für meinen Kocher warten muss. Da die Teile jedoch auch eine Woche später noch nicht ankommen, entscheide ich mich doch noch runter nach Palenque zu fahren, wo es eine weitere riesengrosse Maya-Ruine gibt. Der Highway 199 führt von 2100 Meter über Meer runter bis fast auf Meereshöhe, wobei es dazwischen mit Agua Azul sowie Tonina noch zwei weitere Sehenswürdigkeiten gibt. Obwohl der Highway 199 während meines Aufenthaltes in San Cristobal de las Casas zweimal von Guerillas blockiert war, mache ich mir keine weiteren Gedanken dazu und starte in Richtung Tonina, dem ersten Halt des 3-tägigen Ausflugs.
Wenn man etwas auf einer mehrjährigen Radreise, abgesehen von den Beinen, wirklich gut trainiert, dann ist es das Bauchgefühl. Und dieses schlägt bereits ziemlich schnell Alarm, als ich das erste Dorf auf der Strecke erreiche. Vom Strassenrand ertönt das bereits bekannte “Gringo!!”, allerdings diesmal nicht in einem freundlichen Ton, sondern eher in einem “Get-him-Ton”. Der Blick in die Gesichter bestätigt die Tonart und schlagartig wird mir klar, dass Anhalten erst wieder in Tonina möglich ist – 90 Kilometer entfernt! Das Adrenalin hilft glücklicherweise die zahlreichen Gegenanstiege relativ problemlos zu meistern und als ich endlich wieder weit aussen auf dem Land bin, halte ich zum ersten Mal nach langem an. Shit, hätte ich doch mal noch die Sicherheitslage der Strecke gecheckt bevor ich losfuhr… Schneller als wie geplant erreiche ich Tonina und finde einen sicheren Ort zum schlafen auf einem offiziellen Campingplatz direkt an der Ruine. Abends lese ich das Buch “Bicycle Diaries”, welches die Reise von einem Kalifornier runter nach Patagonien beschreibt. Und tatsächlich fuhr auch dieser die Strecke von San Cristobal nach Palenque. Auch er hatte Schwierigkeiten auf dieser Strecke, blieb aber verschont, während alle seine Kollegen auf genau diesem Highway ausgeraubt wurden. Dabei sei der Streckenabschnitt zwischen Tonina und Agua Azul am schlimmsten – genau die Strecke welche morgen früh ansteht. Ich gehe früh schlafen, um fit für den nächsten Tag zu sein, denn anhalten wird mal wieder keine Option werden.
Nach der Besichtigung der Ruinen von Tonina fahre ich in die nächstgrössere Stadt um etwas zu Essen, bevor es auf das gefährliche Terrain geht. Während dem Essen werde ich von anderen Touristen begrüsst, welche mit dem Collectivo unterwegs nach Palenque sind. Es stellt sich heraus, dass auch sie Radreisende sind, allerdings aufgrund der vielen Dieben und Rebellen die Strecke ohne Rad bewältigen. Beim Bezahlen fragt mich der Inhaber noch in welche Richtung ich fahren werde. Als ich nach Norden zeige, in Richtung Palenque, meint er nur, dass ich das nicht machen sollte… na toll, es scheint als wüssten alle Bescheid und nur ich habe mal wieder alle Warnungen ignoriert. Aber naja, jetzt bin ich schon mal hier, und alles auf ein Collectivo laden kommt nicht in Frage. Einfach weiterfahren und nicht stehenbleiben.
Gleich das erste Schild direkt nach dem Dorfausgang macht Mut… unmissverständlich steht da, dass dies nun das Land der Zapatisten ist, und somit auch dessen Regeln gelten. Dazu Bilder von schwarzvermummten Männern. Wenn hier etwas passiert, dann ist man so richtig schön in der Scheisse. Hier gehören alle zu den Zapatisten – auch die Polizei. Also trete ich noch etwas fester in die Pedalen und ignoriere die Gringo-Rufe, welche auch heute wieder so bösartig klingen, dass mir das Adrenalin in alle Poren schiesst. Schade eigentlich dass es hier so gefährlich ist, denn die Gegend wäre echt schön! Nach einem etwas längeren Gegenanstieg führt die Strasse entlang einem Canyon runter bis fast auf Meereshöhe, wo sich Agua Azul befindet. Ich habe es geschafft, und bin tatsächlich mit meiner gesamten Ausrüstung über die so ziemlich gefährlichste Strasse Mexiko’s geradelt! Zur Feier gönne ich mir ein eiskaltes Bier während dem Baden in den Wasserfällen von Agua Azul. Meine Beine sind von den ganzen Strapazen allerdings so müde, dass aus der geplanten einen Nacht mal wieder zwei werden. Dies hat was gutes, denn so konnte Martjin aufholen, einen anderen Radreisenden, welchen ich noch vor der Abfahrt in San Cristobal getroffen habe. Er hatte allerdings etwas weniger Glück und wurde um etwas mehr als 100€ sowie Elektronikgegenstände erleichtert.
Tags darauf fahren wir zusammen weiter über die letzten Kilometer nach Palenque. Gleich der erste Satz von einem Einheimischen ist “¿Cuanto cuesta?” während er mit seinem Finger auf Chocolate zeigt. Kein Guten Morgen oder sonst was, sondern einfach nur diese Frage. Ich bin gerade so richtig in der Stimmung ihm mittels meiner Faust den Wert klar zu machen, merke aber dass ich dann in dieser Gegend aufgeschmissen wäre. Also ignorieren wir ihn, bezahlen unseren Kaffee und fahren, mal wieder ziemlich nonstop, bis nach Palenque wo wir einen Campingplatz beziehen. Dort gibt es keine Diebe, allerdings komische Hippies wo sich morgens um 2 die Nase blutig schlagen… I’m done hier!! Nach Besichtigung der Ruinen kaufe ich ein Ticket für den nächsten Bus zurück nach San Cristobal de las Casas. Die Verwunderung über lange 8 Stunden Busfahrt steht mir ins Gesicht geschrieben, und die freundliche Verkäuferin vom Ticketschalter erklärt mir, dass der Bus die doppelt so lange Strecke fährt, und fügt hinzu “Guerillas”. Ähm okay, kann ich verstehen!
Gefahrene Route:
Alle Routen zum downloaden hier: