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Vor mir liegt das Paradies aus Palmen, Strand, heisser Luft und unendlichem Meer – vor mir liegt der Pazifik in seiner ganzen Pracht. Dennoch sind die Bäume um mich herum alles andere als wie tropisch, denn obwohl ich das Meer bereits sehen kann, trennen mich noch fast 100km bis dorthin. Ein Wald aus Nadelbäume säumt die Strasse, welche sich in unzähligen Kurven über die letzten Berge schlängelt, welche das Hochland vom Tropenparadies trennen. Ein Blick auf das GPS verrät die Höhe: 2789 Meter über Meer – und das Meer kann ich bereits weit in der Ferne glitzern sehen! Was für ein eindrücklicher Moment, hier oben zu stehen und die trockene Luft zu atmen, welche nach Nadelwald riecht, während in der Ferne ein komplett anderes Klima hinaufwinkt.
Mexiko hat alles und an manchen Orten, wie hier zum Beispiel, trennen nur wenige Kilometer Strasse eine ganze andere Welt. Ich schaue nach rechts in die lächelnden Gesichter meiner Mitreisenden Christian und Christina (kein Witz!) und erkenne dass auch sie diesen einen Augenblick mit allen Sinnen aufsaugen. Wir stehen auf dem höchsten Punkt der MEX 175, welche von Oaxaca runter an den Hippie-Strand Zipolite führt. Es war mal wieder eine “Landkarten-Entscheidung” diese Strecke zu wählen. Denn keine andere Strasse im gesamten Bundesstaat konnte mehr Kurven aufweisen und somit musste es einfach diese Route sein, welche uns zurück ans Meer führen soll.
Komische Pilze und Shamanen
Vor wenigen Tagen fuhr ich noch alleine aus der bunten Kolonialstadt Oaxaca raus, nachdem ich mich herzlich von Christian und seiner von einem Backpacking-Trip soeben angekommenen Freundin Christina verabschiedet habe.
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Unser Plan war ein Treffen am Meer eine Woche später, um meinen Geburtstag unter Palmen feiern zu können. Gekommen ist es dann alles etwas anders, denn auch in den Bergen gibt es noch das eine oder andere anzuschauen, und somit haben mich die Beiden ein paar Tage später wieder eingeholt. Denn mitten in den südlichen mexikanischen Sierras befindet sich das kleine Bergdorf San Jose del Pacifico, welches vor allem unter Backpacker eine kleine Berühmtheit ist. Als ich allerdings nach zwei schweisstreibenden Tagen endlich das Ortsschild auf 2500 Meter über Meer passierte, war mir der Grund für diese Berühmtheit etwas sehr schleierhaft. An der einzigen Hauptstrasse reihen sich auf 200 Meter ein paar Restaurants, Cafe’s und “Tiendas” und das wars dann eigentlich auch schon. Ein paar weitere Häuser säumen eine kleine Nebenstrasse welche von der Hauptstrasse abzweigt und steil hinauf in Richtung Wald führt. Sehr verschlafen sieht es hier aus, und es scheint, dass das Einzige was hier in Bewegung ist, weisshäutige “Gringos” sind, welche mit ihrem übergrossen Rucksack von Cafe zu Cafe ziehen. Dieser Anblick ist genug seltsam, damit ich kurz den Blick auf die Strasse verlor und ein “Tope” (Geschwindigkeitshubel) mich fast vom Rad katapultierte. Während ich in all den kleinen Bergdörfern in den letzten 2 Tagen der einzigste Gringo war, scheint es hier genau umgekehrt zu sein, denn ich konnte fast keine Mexikaner mehr sehen. Auf der Suche nach einer Unterkunft entschied ich mich die kleine steile Nebenstrasse hinauf zu fahren und ein Blick auf die bunt bemalten Wände verrieten ziemlich schnell wieso denn so viele Gringos hier rauf kommen. Pilze in allen Farben und Formen sind auf die Wände gepinselt, denn San Jose del Pacifico ist bekannt für seine psychoaktiven Pilze, welche überall herum in den Wäldern wachsen. Es scheint als würde die komplette Jugend dieser Welt hier hin kommen um Pilze zu essen und anschliessend ziellos durch den Wald zu stolpern – oder von Cafe zu Cafe. Aufgrund der geografischen Gegebenheiten ist camping hier nahezu unmöglich, zumindest nicht im Dorf, und so bezog ich ein kleines Bett in einer Bretterbude hoch oben über dem Dorf. Bereits am ersten Abend wurde ich für diese Entscheidung belohnt, denn als die Wolken vom Tal hinaufzogen, breiteten sich diese wie ein riesiges Meer direkt vor meinem Fenster aus. Die letzten Sonnenstrahlen tauchten die ganze Szenerie in ein warmes rot/gelbes Licht und liess alles so unwirklich erscheinen, dass man wohl definitiv keine psychoaktiven Pilze mehr essen muss um das geniessen zu können.
Leider wiederholte sich das Wolken-Spektakel am Abend nicht wieder, sondern es waberte nur ein zäher Nebel durch die Nadelwälder. Dafür hatten bereits am nächsten Tag Christian und Christina aufgeholt und so stehen wir am Abend zu Dritt auf der Terrasse der Unterkunft und geniessen… den Nebel, denn wie bereits am Vorabend sind wir leider unterhalb der Wolkenobergrenze und somit mitten in der “Suppe”. Wir beschliessen am nächsten Tag noch die letzten knapp 300 Höhenmeter zu bezwingen und dann auf die lange Abfahrt in die Tropen nach Zipolite zu fahren.
Vamos a la playa!
Und so stehen wir nun hier auf der “Kante” der südlichen Sierras, bevor es nun endgültig runter in die schwüle heisse Luft geht. Noch ein letztes Gruppenselfies und die Bremsen-Check und los geht die rasante Fahrt durch die unzähligen Kurven. Aufgrund der vielen Schlaglöchern und Tope’s ist es beinahe unmöglich den Blick weg von der Strasse auf die Umgebung zu richten, obwohl es doch genau hier so schön wäre. Während wir die Strasse hinunterbrausen, ändert sich nämlich die Fauna so extrem, dass wir uns schon fast in einem anderen Land erwägen als wir das nächste mal anhalten. Die Nadelwälder sind verschwunden und durch dichtes Grün ersetzt worden aus welchem nun die buntesten Vögel rufen. Aufgrund des fehlenden Fahrtwindes beginnen sofort unsere Schweissporen zu arbeiten, und so schnell werden sie nicht mehr arbeitslos werden. Weit unten im Tal erreichen wir einen Fluss an welchem sich die Strasse entlang weiter in Richtung Meer schlängelt.
Dann, mitten im Nirgendwo auf einem leicht ansteigenden Teilstück, beginnt auf einmal ein Summen. Noch bevor ich die Gefahr sehen kann, spüre ich den ersten Stich im Nacken. Dutzende von Bienen haben sich auf mich gestürzt und versuchen mich nun von der Strasse zu “stechen”. Das Adrenalin ist innert Sekunden voll da, aber selbst mit dieser zusätzlichen Hilfe schaffe ich es nicht das Tempo auf dem ansteigenden Teilstück zu erhöhen und der Gefahr zu erkommen. Ein paar von den Tieren haben den Weg unter meinen Helm gefunden und panisch reisse ich diesen vom Kopf und in hohem Bogen auf die Strasse hinter mir. Dass dabei auch die Sonnenbrille einen Abflug macht, war so nicht geplant. Die Viecher lassen noch immer nicht vor mir ab und so bleibt mir nur noch einen Fluchtweg: umdrehen um abwärts genügend Fahrt aufnehmen zu können um zu entkommen. Relativ zügig bin ich schnell genug und hänge die fiesen Verfolger ab. Christian und Christina kommen mir mit einem fragenden Gesichtsausdruck entgegen und ich schreie Laut durch das Tal “Bienen, Bienen”. Ein paar Mexikaner auf dem Strassenrand verstehen das lustigerweise sofort und rufen auf spanisch dass ich da einfach schneller durchfahren muss… Recht haben sie, denn eine andere Strasse gibt es nicht, und wegen ein paar Bienen nochmals 2800m hochfahren kommt auf keinen Fall in Frage. Nachdem ich sicher bin alle Verfolger abgehängt zu haben, drehe ich Chocolate um 180 Grad und atme ein paar Mal tief durch. Die Strasse vor mir sieht so schön friedlich aus und versprüht überhaupt keine Gefahr. Wie sehr dieser Eindruck doch nur täuschen kann! Noch einmal wäge ich kurz die Möglichkeiten ab, merke dann aber schnell dass es diese nicht gibt. Ich muss da durch! Zögerlich trete ich mit dem linken Fuss in die Pedale. Der rechte Fuss folgt wie automatisch und mit viel Kraft. Schnell nehme ich Tempo auf – direkt in die unsichtbare Gefahr vor mir. Trotz der ansteigenden Strasse rasseln die Gänge zügig in die unteren Gänge. Dann kommt die gefürchtete Rechtskurve, nach welcher ich bei letzten Mal angegriffen wurde. Mein Helm und die Sonnenbrille liegen auf der Gegenfahrbahn und scheinen nur auf mich zu warten. Von den Bienen ist nichts zu sehen und gewisse Erleichterung macht sich bereits breit, als das fiese Summen wieder ertönt. Ich fühle mich ein bisschen wie im Film “I’m legend”, bei welchem Will Smith in eine Falle von Zombies tappt. Meine “Zombies” hier sind zwar keine Menschenfresser, dafür aber können sie fliegen – und das verdammt schnell! Was auch immer gleich passiert, meine Brille und den Helm überlasse ich nicht ihnen! Noch bevor ich die Brille erreiche spüre ich die ersten Stiche in meinem rechten Unterarm. Das Summen ist mittlerweile ohrenbetäubend, und nur mit Mühe kann ich den Blick noch auf die Strasse richten, da die Bienen auch mein Gesicht versuchen zu attackieren. Gegen jegliche Vernunft stoppe ich nun komplett und bücke mich runter zur Brille. Während ich mit einer Hand nach der Brille greife, versuche ich mit der anderen die Angreifer zu verscheuchen. Dass dabei das 65kg schwere Rad nicht umfällt ist eine hohe Kunst. Weitere 2 Meter entfernt liegt mein Helm und nachdem auch dieser endlich eingepackt ist, kann “the great escape” endlich so richtig beginnen. In solchen Momenten bin ich glücklich eine Schaltnabe zu besitzen, da so die Gänge auch im Stehen gewechselt werden können. Dank einem leichten Gang erreiche ich schnell eine hohe Laufgeschwindigkeit und ein paar Sekunden später fliege ich schon fast förmlich über die Strasse. Fliegen tun allerdings auch meine Verfolger, und das nicht zu langsam. Auf der ansteigenden Strasse ist es fast unmöglich diesen zu entwischen, und nur Dank dem vielen Adrenalin im Blut erreiche ich dennoch eine so hohe Geschwindigkeit, dass nur kurze Zeit später das verhasste Brummen verstummt. Als ich fast einen Kilometer später am höchsten Punkt der kurzen Gegenansteigung anhalte, bemerke ich erst wie gross die Anstrengung war. Mühsam kämpft meine Lunge um Luft und mein Herz schlägt so wild, dass ich schon fast einen Infarkt befürchte. Meine Mitreisende schliessen schnell auf und wie es scheint haben es die Bienen heute nur auf mich abgesehen. Denn meine Stiche werden die einzigen heute sein, dafür aber zahlreich. Egal, denn bald werden sich dutzende Moskitostiche zu ihnen gesellen – Herzlich willkommen zurück in den Tropen…
Als wir unsere Räder auf sandigem Boden ausrollen lassen, können wir gerade noch einen wunderschönen Sonnenuntergang hinter der Brandung von Zipolite Beach geniessen. Ein paar wenige weisshäutige Menschen sind noch unterwegs und eines haben sie alle gemeinsam: keine Klamotten. Denn Zipolite war vor allem in den 60er und 70er-Jahren als Hippie-Badeort bekannt und so sind Badebekleidungen bis heute eher eine Ausnahme als wie eine Regel. Nachdem wir in so vielen typischen mexikanischen Dörfern unterwegs waren, ist uns dieser Anblick mehr als gewöhnungsbedürftig. Der Duft nach Nadelwälder wurde nun definitiv vertrieben und durch die salzige Meerluft ersetzt. Obwohl es bereits fast komplett dunkel ist, schwitze ich wie bei 40 Grad im Schatten und das Meer welches nun meine Füsse umspielt ist so warm, dass es auch keine wirkliche Abkühlung verschafft. Vom Balkon aus winken uns zwei bekannte Gringos runter, die SouthbyVan-Crew, welche uns von diesem Ort erzählt hat und mit welchen wir die nächsten Tage am Strand zelten werden. Direkt hinter mir landet eine Kokosnuss am Strand und die Radhosen wurden bereits gegen Badehose eingetauscht. Kyle von SouthbyVan streckt mir eine eiskalte Bierdose entgegen und weit oben in den Bäumen rufen ein paar exotische Vögel sich gegenseitig “Gutenacht” zu. Wir sind in einem Paradies – mal wieder! Und übermorgen ist mein Geburtstag! Es werden also spannende nächste Tage und ganz sicher auch wieder mal heisse Stunden im Sattel bevor es dann zurück in die Berge und “endlich” weiter nach Guatemala geht. Doch dies ist eine andere Geschichte 🙂
Gefahren Route:
Alle Routen zum downloaden hier: