Mit über 50 Meilen pro Stunde ruckeln wir mit der U-Bahn von San Francisco in Richtung Osten. Die urbane Gegend haben wir schon lange hinter uns gelassen, und die Bahn hat mittlerweile seinen Tunnel verlassen und fährt nun oberirdisch weiter. Draussen am Fenster ziehen nun nicht mehr Graffiti-Versprühte Fabrikgebäude vorbei, sondern staubtrockene Gebüsche und Grässer. Sanfte Hügel versperren den Blick in die Ferne und nur eine 8 spurige Autobahn zeigt an, dass in unsere Fahrtrichtung eine weitere Stadt sein muss. Andere nennen diese Art von Reisen eventuell flunkern, wir jedoch nennen es Flucht – Stadtflucht. Denn Radfahren in der Stadt macht einfach keinen Spass und gleicht meistens eher einem Überlebenskampf anstatt gemütlichem Reisen.
Nach über einer Woche in den Grossstädten von Oakland und San Francisco wurde die Sehnsucht nach Land und Natur einfach zu gross, und so befinden wir uns nun mit einer riesengrossen Vorfreude im Bauch auf dem Weg in das Naturwunder von Yosemite Valley. Bis nach Dublin (nein nicht das Dublin in England!) nehmen wir die Subway, und von dort aus geht es auf relativ ruhigen Radwegen über eine ziemlich karste Steppenlandschaft weiter nach Osten.
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Nassgeschwitzt und mit allerletzter Kraft erklimmen wir die letzte Ansteigung zur Passhöhe. Alle Wasserflaschen sind leer und als wir auf einer Weide einen Brunnen für die Pferde entdecken, ist das Gefühl fast das gleiche wie an Weihnachten. Wir tauchen unsere Köpfe in das kühle Nass und füllen die Wasserflaschen wieder auf. Danach geht es auf einen nicht enden wollenden Downhill welcher direkt auf einen menschenleeren Campingplatz führt. Auf einer saftig grünen Wiese bauen wir unser Nachtlager auf und geniessen eine Gratis-Dusche, was in Kalifornien so eigentlich nicht üblich ist – Jackpot würde ich mal sagen!
Am nächsten Tag machen wir da weiter wo wir am Vortag aufgehört haben… Downhill! Was gibt es schöneres, als am frühen Morgen über eine Strasse ohne Verkehr zu fahren, während die ersten Sonnenstrahlen für einen bunten Lichtmix über den karsten Feldern Kaliforniens sorgen. Irgendwann kurz vor der nächsten Stadt müssen wir aber anhalten, denn dieser unscheinbarer Punkt mitten im Nirgendwo wird zu einem grossen Meilenstein des Projekts «i’m out!» – 20’000 Kilometer stehen auf dem Tacho und natürlich muss somit ein Foto geschossen werden!
Kurz vor der Mittagshitze erreichen wir die Ortschaft Turlock im Mid Valley, einem der heissesten Orte in Kalifornien. Ab hier geht nichts mehr, bis kurz vor dem Sonnenuntergang. Radfahren in dieser Hitze gleicht einem Selbstmord, denn die Strassen verlaufen für dutzende Meilen schnurgeradeaus, während künstlich bewässerte Felder das Panorama links und rechts säumen – Felder ohne Bäume oder sonst irgendwelchen Schattenspendende Sachen. Also Zwangspause im Starbucks mit Klimaanlage und gratis WiFi. Der geplante Campingplatz liegt nur noch knappe 20 Kilometer entfernt, und so begrüssen wir diesen Stopp obwohl wir beide gerne unterwegs sind. Mit dem letzten Sonnenlicht und einer grossen Dose Bier im Gepäck erreichen wir den idyllischen Campingplatz Lake McSwain, welcher, wie es der Name bereits verrät, direkt an einem Stausee gelegen ist. Einmal mehr können wir aufgrund der Hitze auf die Aussenhülle verzichten und bauen nur das Aussenzelt auf. Der Blick am Morgen aus dem Zelt auf den See ist unbezahlbar.
Ab heute beginnt die Kletterei, denn wir stehen am Fusse der Sierra Nevada. Einer gigantischen Bergkette, welche sich von der Grenze Mexikos bis hoch zur kanadischen Grenze zieht. Dahinter liegt die Wüste und somit unser eigentliches Ziel – Reno. Die Bergkette darf jedoch nicht als Hindernis betrachtet werden, denn sie ist ein unglaubliches Naturspektakel und mitten zwischen den Bergen liegt das weltbekannte Yosemite Valley, ein Tal welches umgeben ist von Granitfelsen welche hunderte von Meter in den Himmel ragen. So ziemlich alle Westküsten-Reisende planen einen kurzen Stopp in diesem Valley ein bevor es entweder weiter in die Wüste oder aber in die Städte an der Küste geht. Uns geht es ähnlich, allerdings werden wir den ganzen Weg mit dem Velo zurücklegen, weswegen für die Überquerung 4 Tage eingeplant wurde – inklusive campen an Bergseen und mit wilden Tieren… yeaaaah!
Wir verlassen den Stausee und befinden uns schlagartig wieder in der staubtrockenen Steppe. Die Strasse führt über kleine sanfte Hügel welche den Blick auf den weiteren Strassenverlauf versperren und uns somit im Ungewissen lässt. Egal ob Downhill oder Steigung, wir wissen es jeweils erst wenn wir den obersten Punkt erreicht haben. Nach mehreren Kilometer auf und ab wechselt die Farbe von den Hügel am Horizont in einen dunkelbrauen Farbton. Was von weitem aussieht wie eine andere Vegetation ist bei näherer Betrachtung verbrannte Erde. Links und rechts sehen wir nur noch Asche und schwarze Erde. Wie Zahnstocher ragen dazwischen kohlschwarze Baumstämme ohne jegliche Äste aus dem Boden. Fast schon bedrohlich fühlt sich nun das radfahren in dieser unwirklichen Gegend an und der Geruch von Verbranntem beisst in der Nase. Erst kurz vor Mariposa, unserem Zwangsstopp für die Mittagspause, kommen wir wieder in eine Gegend welche vom Feuer verschont blieb. An den Häuser und Geschäften hängen Schilder welche den Dank an die Feuerwehr ausdrücken und in den Cafés gibt es Gratisgetränke für alle Feuerwehrmänner. Waldbrände wie hier sind für mich eine neue Erfahrung, denn in der Schweiz gibt es diese so gut wie nie, und nach dieser Erfahrung bin ich auch froh dass dies so ist.
Nach einer mehrstündigen Zwangspause und mehreren hundert Höhenmeter erreichen wir am späteren Nachmittag den Merced Fluss, welcher von hier aus direkt in den Lake McSwain fliesst. Wir schlagen unser Nachtlager direkt am Flussufer auf und waschen uns in dem eiskalten Bergbach. Bevor es komplett dunkel wird, überprüfen wir noch alle Taschen auf Lebensmittel und hängen diese auf über 4 Meter Höhe in einen Baum. Denn hier gibt es nicht nur niedliche Tiere wie Eichhörnchen oder Rehe, sondern auch Bären. Während erstere zwar auch schon in der Nacht im Zelt vorbeischauten, möchte man den letzteren lieber nicht als Gast haben. Die Regeln zum wildzelten in Bärengebiet sind aber eigentlich relativ einfach:
1. Nicht kochen wo man schläft
2. Alle (ALLE) Lebensmittel in mind. 4m Höhe auf einen Baum hängen
3. Kleidung welche man zum Kochen/Essen angehabt hat ebenfalls in den Baum hängen
4. Mindestens 200 Meter von den Lebensmittel entfernt das Zelt aufbauen.
Beachtet man diese Regeln, so kann einem eigentlich kaum etwas passieren. Und falls doch, so habe ich noch Bärenspray dabei 😊
Bild Bärenspray
Die Nacht bleibt wie erwartet ruhig und kein pelziger Bekannter ist uns besuchen gekommen. So starten wir mit den ersten Sonnenstrahlen in einen erfrischenden Morgen. Die Strasse teilt sich das enge Tal hinauf ins Yosemite Valley mit dem Merced Fluss und so bleibt nur wenig Platz für zwei Radfahrer zwischen dem ganzen Ferienverkehr und den überdimensional grossen Wohnmobilen. Wir fluchen was das Zeug hält und nicht selten fehlt weniger als eine Handbreite zur Kollision. Dafür werden wir mit der Schönheit unserer Umgebung entschädigt. Die Nähe zum Fluss nutzen wir für eine kurze Abkühlung, als die Strasse beginnt steiler zu werden. Kurz nach Mittag passieren wir das Eingangstor zum Yosemite Nationalpark. Wir kommen aus dem Staunen nicht mehr heraus… das Yosemite Valley ist einfach zu schön um wahr zu sein. Ein Postkartenmotiv, welches keinerlei Filter oder irgendwelche Nachbearbeitungen mehr benötigt.
Wir beziehen unser Nachtlager auf dem Backpacker-Campingplatz, dem einzigen Campingplatz im Yosemite Valley welcher nicht mit dem Fahrzeug erreichbar ist. Den Rest des Tages verbringe ich in der Hängematte zwischen uralten und riesigen Bäume, welche von noch grösseren Granitfelsen überragt werden. In der Ferne winkt der Granitberg «Half-Dome», welchen wir auf der weiteren Reise auch noch von der anderen Seite zu sehen bekommen werden. Wir befinden uns mittlerweile auf 1250 Meter über Meer, was die Hitze aber anscheinend nicht stört, denn es fühlt sich noch immer an wie in Thailand am Strand – was eventuell aber auch an dem Buch in meiner Hand liegen könnte. Es ist eine Geschichte über drei Backpacker in Thailand, welche eine ziemlich abenteuerliche Reise durch Südostasien und Australien auf einer gestohlenen Yacht unternehmen. Und gerade als ich so mitten in der Story bin, werde ich von Schreien aufgeschreckt. Direkt hinter meiner Hängematte rennt eine Park Rangerin völlig ausser Atem mit einem Gewehr in der Hand vorbei. Der Grund dafür rennt auf der anderen Seite der Hängematte vorbei – ein ausgewachsener Braunbär, welcher anscheinend auf der Suche nach Futter den Backpacker-Campingplatz ausgesucht hat. Zusammen mit weiteren Park Ranger vertreiben sie den Bären in kurzer Zeit. Immer wieder schön etwas Action zu haben an einem so langweiligen Nachmittag 😉
Die Strecke aus dem Yosemite Valley am nächsten Tag ist zwar kurz, dauert aber dennoch unglaublich lang. Wir müssen einfach immer wieder stoppen um Fotos zu schiessen. War das Tal gestern schon zu schön um wahr zu sein, so ist es heute mit der Morgensonne einfach ein unwirklich scheinender Traum. Als wir das Tal endlich verlassen, zweigen wir auf die Passstrasse hoch zum Tioga Pass ab. Wir werden diesen heute nicht erreichen da die Höhendifferenz einfach zu gross ist. Der erste Teil der Strecke verläuft auf einer in den Felsen geschlagener Strasse und das Panorama ist einfach einzigartig
Leider haben wir auch hier wieder mit dem chaotischen Ferienverkehr zu schaffen, und können somit die Aussicht nur halbwegs geniessen. Man merke, schmale Strassen gemixt mit Menschen in gemieteten überdimensionalen Wohnmobilen ist eine echte Lebensbedrohung für alle Velofahrer…
2 Stunden nach Abfahrt im Yosemite Valley passieren wir das 5000ft Elevation Schild. Bis zum Pass müssen wir nochmals 4 solche Schilder passieren, denn der Pass liegt auf 9945ft, was ca. 3030m entspricht – der höchste Pass auf der ganzen bisherigen Reise!
So wie es aussieht, fahren wir heute nur einmal aufwärts, denn die Strasse schlängelt sich in einem sehr gemütlichen Ansteigungsgrad den Berg hoch. Das Panorama ist einmal mehr umwerfend und wir geniessen einen weiten Fernblick in Richtung San Francisco, welches aber aufgrund des Smogs von den herrschenden Waldbränden nicht sichtbar ist. Dafür sind die Dinge am Strassenrand umso sichtbarer und teilweise auch interessanter! Kurz nach einer Raststätte sehen wir im Dickicht, weniger als 5 Meter von der Strasse entfernt, einen kleinen Bären auf einem umgefallenen Baum. Ganz ruhig und entspannt schaut er in unsere Richtung und macht überhaupt keine Anstalten sich auch nur einen Meter von uns wegzubewegen. Momente wie diese gehören definitiv auch zu den Gründen wieso man reisen gehen sollte.
Dank der kühlen Temperatur können wir diesen Tag ohne Unterbruch radeln und als gegen Abend etwas mehr als 70 Kilometer und fast 2000 Höhenmeter Steigung auf dem Tacho stehen, schlagen wir uns wortwörtlich in die Büsche. Denn direkt hinter den Büschen finden wir einen wunderschönen kleinen Bergsee, welcher uns einfach zum wildzelten einladet, obwohl dies im Nationalpark eigentlich verboten ist. Da hier auch diverse Wanderwege starten, gibt es sogar Bärenboxen, in welchen wir unser Essen sicher aufbewahren können. Wir befinden uns kurz vor der Passhöhe und die Nacht ist eisig kalt. Mit dicken Klamotten laufen wir durch den stockdunklen Wald in Richtung unserer Zelte, als im Schein der Taschenlampe auf einmal zwei Augen aufblitzen. Weniger als 6 Meter entfernt und ohne jegliche Regung. Um welches Tier es sich handelt können wir nicht erkennen, wissen aber dass es mindestens so gross wie ein Mensch sein muss. Also bewegen wir uns zu den Zelten ohne unseren Blick abzuwenden. «My tent is my castle» und so fühlen wir uns sofort wieder pudelwohl, als wir in unsere Zelte krabbeln. Unglaublich, aber auch in dieser Nacht werden wir von keinem Lebewesen in unserer Nachtruhe gestört.
Ein Park Ranger hätte noch fast für Trubel gesorgt, als wir am frühen Morgen unsere Sachen aufs Rad beladen haben. Wie aus dem Nichts tauchte dieser mit seinem Jeep auf und fragte wo wir hin wollen. Glücklicherweise hat er nicht gefragt wo wir geschlafen haben, denn die Kosten für wildzelten sind hoch.
Nach einem kurzen Uphill geniessen wir die Fahrt runter an den Tenaya-Lake wo es erstmal Frühstück gibt. Idyllischer geht es fast nicht mehr:
Den Tioga Pass erreichen wir kurz nach Mittag. Geschafft! Den höchsten Pass auf der bisherigen Reise und wisst ihr was… überhaupt keine Beschwerden! Keine müden Beine, keinen Muskelkater, keine Müdigkeit! Wie geil!
Schnell vernichten wir wieder 1000 Höhenmeter auf dem Weg runter nach Lee Vining wo es erst mal ein typisch amerikanisches Mittagessen gibt. Burger mit Pommes – das haben wir uns jetzt verdient. Lee Vining liegt am westlichen Rand der Wüste und direkt am riesigen Salzsee «Mono Lake». Dort gibt es auch einen State Park, in welchem wir unser Nachtlager aufschlagen wollen. Die saftig grünen Wiesen laden einfach dazu ein hier ein paar Zeltpflöcke einzuschlagen. Allerdings wird uns schnell bewusst wieso die Wiese hier in der Wüste so schön grün ist – automatische Bewässerungsanlage! Überall ragen diese kleine Düsen aus dem Boden und selbst die kleinste Ecke wird von dem Wasser erreicht. Bevor wir unsere Zelte in der Wüste aufweichen lassen, bauen wir diese daher lieber auf der Terrasse des Informationszentrum auf. Mit einem trockenen Zelt und grosser Vorfreude schlafe ich ein, denn wir sind endlich in der Wüste angekommen. Mein absolutes Lieblingsterrain zum Radfahren!
Wir folgen nun der Strasse zurück in den Norden, denn irgendwo dort liegt die Grossstadt Reno wo ich das Wohnmobil von einem Kollegen entgegennehmen werde, mit welchem wir dann weiter ans Burning Man fahren. Die Strasse in Richtung Norden meint es aber an diesem Morgen nicht gut mit uns, und so müssen wir erstmal einige Höhenmeter erklimmen, bevor wir die Schönheit der Wüste in einem nicht enden wollenden Downhill geniessen können. In der Stadt Bridgeport schlagen wir unser «Mittagslager» beim wohl schnuckeligsten Café auf, welches ich je gesehen habe. Die Inhaberin macht nicht nur grossartigen Kaffee, sondern ist auch noch überaus gastfreundlich und lässt uns kochen, duschen und abwaschen in ihrem Garten. Solche Menschen können jeden Regentag in einen schönen Tag verwandeln – merci!
Nach über 100 Kilometer schlagen wir unser Lager am Rand eines kleinen Dorfes direkt an einem Fluss auf. Wir befinden uns dutzende Kilometer entfernt von jeglicher Lichtverschmutzung und geniessen einen wahnsinnigen Nachthimmel. Als wäre das nicht genug, zieht genau in dieser Nacht ein Meteoritenschauer über Nevada. Wir kommen mit dem Wünschen gar nicht mehr nach und geniessen das Naturspektakel in vollen Zügen. Millionen Sterne, Sternschnuppen und wahnsinnig schöne Sonnenaufgänge sowie Untergänge gehören zum Reisen in der Wüste einfach dazu. Wie schön wieder hier zu sein!!
Wie geht es weiter?
Kurz nach dem Meteoritenschauer erreichten wir den Standort vom Wohnmobil und haben unsere Zweiräder somit gegen Vier-Räder getauscht (eigentlich 6 um genau zu sein). In Reno wohnen wir auf dem Walmart-Parkplatz und reparieren den über 36 Jahre alten Wohnwagen, um bereit für die verrückteste Wüsten-Party zu sein – dem Burning Man in der Black Rock Desert. Doch dies ist eine andere Geschichte 😉
Gefahrene Route: