Ein Tropfen schlägt auf der ruhige Wasseroberfläche auf, welche wie ein Spiegel in der Port Gamble liegt. Die immer grösser werdende Kreise reflektieren das Feuerwerk, welches rund um uns herum in den Nachthimmel erhellt. Es ist der 4te Juli, der Unabhängigkeitstag der USA, und ich sitze in einem wackeligen Kajak um das Feuerwerk in aller Ruhe geniessen zu können. Ein paar hundert Meter weiter treibt ein weiteres Kajak über den Ozean, welches von Lynn gesteuert wird. Dank ihr darf ich diesen unglaublichen Moment erleben, denn sie und ihr Mann Mark haben mich mit offenen Armen empfangen als ich ziemlich verloren und halb erfroren in Seattle angekommen bin (siehe Artikel hier).
Zweites Zuhause in Port Gamble:
Nun ist es aber Zeit die Sachen zu packen und das lieb gewonnene Nest zu verlassen. Ein richtiges Bett welches von massiven 4 Wänden umgeben ist, eine Dusche aus welcher auf Knopfdruck heisses Wasser kommt, eine Kaffeemaschine welche auf Knopfdruck mein Lieblingsgetränk zubereitet, ein riesengrosses Nutella-Glas in der Vorratskammer, 3 Kajaks an der Küste nur wenige Meter vom Haus entfernt sowie ein Pick-Up-Truck zur freien Verfügung in der Garage. Das hier fühlt sich alles ein bisschen wie ein Traum an und zeigt mir mal wieder wie es ist, einen fixen Wohnort zu haben. Doch ich bin ein Nomade – ein Radnomade und somit wird es nach 2.5 Wochen in diesem Traum Zeit zurück auf die Strasse zu kommen. Ein kleines Trostpflaster gibt es jedoch, denn bis nach San Francisco werde ich von Aldo begleitet. Wir trafen uns damals auf der Fähre von Bandar Abbas (Iran) nach Dubai und trafen uns nun hier in Seattle wieder.
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Nach einer herzlichen Verabschiedung rollen unsere Räder über eine eigentlich viel zu lange Brücke von einer Insel zur nächsten. Neben uns braust der Verkehr vorbei, welcher aus eigentlich viel zu grossen Fahrzeugen besteht. Die Strasse ist gesäumt von einem dichten Nadelwald aus welchem der wunderbare Duft der Natur strömt und eine reine Wohltat ist nach den ganzen Abgasen und Rauchwolken in Asien. Weit entfernt ragen die Bergen der Olympic Mountains in den Horizont und weit oben auf der Spitze kann man noch den letzten Schnee erkennen. Hinter uns ragt ein weiterer grosser Berg in die Höhe, welcher aber eher fast ein bisschen bedrohlich wirkt, Der Mount Rainier ist über 4000 Meter hoch und ragt praktisch von Null Meter über Meer direkt in den Himmel. Umgeben ist er von genau keinem einzigen Berg, was ihn umso mächtiger erscheinen lässt. Wie der Mount Helens, welcher nur ein paar hundert Kilometer entfernt ist, handelt es sich auch beim Mount Rainier um einen Vulkan. Wir wechseln von dem vielbefahrenen Highway auf eine kleinere Strasse auf welcher praktisch keine Fahrzeuge unterwegs sind. Obwohl ich vor nur wenigen Minuten das heimelige Nest in Port Gamble gegen das Nomadenleben eingetauscht habe, bin ich in diesem Moment überglücklich wieder auf der Strasse zu sein. So einfach das Leben auf zwei Räder ist, so schön ist es auch! Weniger macht glücklich!
Kurz vor Einbruch der Nacht erreichen wir den Garten von Bill, welcher uns auf seiner Wiese zelten lässt. Von einem nahegelegenen Bach entnehmen wir Wasser um zu kochen und zu waschen. Die Strasse führt mittlerweile direkt am Ozean entlang und alle paar Kilometer (oder Meilen) erscheint das Schild mit der schönen Zahl «101» am Strassenrand. Diese Strasse dürfte bei vielen USA-Reisenden ein Begriff sein, denn sie gehört zu den schönsten Reiserouten überhaupt und führt von Seattle runter bis nach San Diego. Entsprechend oft müssen wir für Fotos anhalten da die Umgebung einfach schon fast kitschig schön ist. Nach nur zwei Tagen auf dem Rad legen wir den ersten Ruhetag ein, denn in Olympia treffen wir Chris, welchen wir an einer Familienfeier in Portland ein paar Wochen vorher kennengelernt haben.
Glück ist das einzige was sich verdoppelt, wenn man es teilt
Immer wenn man denkt es kann nicht mehr besser werden, kommt eine weitere Kurve mit einem noch atemberaubender Ausblick. Anders könnte ich die Fahrt auf dem Highway 101 nicht erklären. Rolling Hills führen durch endlos scheinende Wälder und der Ozean ist nie weit entfernt. Jetzt ist er sogar ganz nah, denn auf der bisher mit Abstand grösster Brücke überqueren wir einen Fluss welcher auch schon als kleiner See durchgehen könnte. Auf der anderen Seite liegt Oregon, der zweite Staat welchen wir mit dem Fahrrad durchqueren werden. In Oregon wird das Radfahrerleben viel einfacher, denn hier gibt es Hiker & Biker Campingplätze für 5-6$ mit warmer Dusche & Trinkwasser alle 30-40 Kilometer, Radwege, viele kleine Café’s und Brauereien sowie jeden Tag gutes Wetter mit Rückenwind – zumindest in dieser Jahreszeit. Die Campingplätze sind zudem ein guter Ort um andere Reisende kennenzulernen. So passiert es, dass wir bereits am zweiten Tag in Oregon zu viert unterwegs sind. Cookie (bei ihrem Namen werde ich jedes Mal hungrig) aus Texas sowie Adam aus New York schliessen sich unserer Gruppe an und zusammen fahren wir in Richtung Süden.
Immer auf der rechten Seite ist der wilde pazifische Ozean, welcher einen kalten Wind in unsere Fahrtrichtung schickt (jipiii Rückenwind!) und abends das zelten zu einer echt kalten Angelegenheit macht. Die Strände sind teilweise so breit, dass man schon fast einen Shuttle-Bus zur Wasserkante benötigt aber für uns ein wunderschönes Fotomotiv abgibt, jedes Mal wenn wir wieder auf einem der etwas höher gelegenen Hügel ankommen. Hier zu reisen ist so einfach, dass es sich seit langer Zeit mal wieder richtig nach Urlaub anfühlt. Jeden Abend erreichen wir einen Hiker/Biker-Campingplatz, geniessen unsere warme Dusche, kochen zusammen, entfachen ein Lagerfeuer und spielen Karten bis die Dunkelheit dies verunmöglicht. Völlig tiefgefroren steigen wir jeweils am frühen Morgen aus unseren Schlafsäcken, trinken einen Kaffee zum Aufwärmen und radeln los über die perfekten Radwege durch eine eigentlich viel zu schöne Umgebung. Wir sind dankbar dass wir in dieser Konstellation an diesem wunderbaren Ort zusammen radeln dürfen und fühlen dieses Glück in allen Poren – denn Glück ist das einzige was sich verdoppelt wenn man es teilt.
Abenteuerstory’s wie sie es in Asien praktisch täglich gegeben hat, sind in diesem Blogpost nicht wirklich vorhanden. Hier läuft halt eben wieder alles sehr geregelt. Aber in den kommenden Wochen werden wieder viele neue Abenteuer kommen – Burning Man, Durchquerung des Death Valleys, Camping am Grand Canyon und dann natürlich ab nach Mittel- sowie Südamerika! Yeeeeaaaaaah!!
So und jetzt muss ich Karten spielen…
Aktuelle Route: