Das knattern von einem Mofa durchbricht die Stille der Nacht. Als wäre dies nicht genug, richtet der Fahrer die Scheinwerfer voll auf mein Zelt und dreht den Motor auf. In gebrochenem Englisch ruft jemand «Hello» und somit Grund genug mal rauszuklettern um sich die Sache genauer anzuschauen. Von dem Scheinwerfer geblendet, erkenne ich nur sehr ungenau die Konturen von sechs männlichen Personen. Bei der einen Person bleibt mein Blick hängen, denn diese Person unterscheidet sich markant von den anderen – diese Person hat eine Kalaschnikow in der Hand! Wie bin ich nur schon wieder in diese Situation reingeraten…
Phnom Penh, 03.02.2017, 21:20 Uhr
Shit, shit, shit! Ich bin schon wieder total spät dran, dabei hat alles doch so gut angefangen. Pünktlich um 15:00 Uhr ist der altersschwache und total verbeulte Bus in Ho Chi Minh City (auch als Saigon bekannt) abgefahren. Ziel: die kambodschanische Hauptstadt Phnom Penh und somit für mich das definitive Ende von zwei Monaten Rucksacktourismus. Hinter mir liegen unvergessliche Nächte an thailändischen Stränden, zahlreiche Tempelbesuche, einen Thai-Food-Kochkurs, lustige Abende an Strassenständen, frostige Nächte im vietnamesischen Hochland sowie das chinesische Neujahr am wohl russischsten Strand an welchen ich mich je verirrt habe. Der Rucksack auf meinem Rücken könnte noch viele weitere Geschichten erzählen, doch erst einmal müssen die dreckigen Klamotten da drinnen gewaschen werden. Und sowieso, fertig mit dem ganzen Gedankenquatsch. Ich muss mich beeilen, denn eigentlich bin ich mit Mélanie verabredet, welche volle zwei Monate auf mein Herz aka Chocolate aka mein Fahrrad aufgepasst hat. Und eigentlich wäre ich auch nicht zu spät, hätte der Bus auf dem Weg hierhin nicht noch eine Kollision mit einem Müllwagen gehabt und zudem einen Hund überfahren. Noch einen Schritt und… Touchdown! Mit Phnom Penh unter den Flip Flops endet definitiv meine «Karriere» als Backpacker – und um ehrlich zu sein, ich will es nicht nochmals. Es gibt viele Möglichkeiten ein Land zu erfahren. Vom hängengebliebenen Hippie über den Backpacker bis zum All-inclusive Tourist ist alles möglich und nichts ist falsch. Das radfahren hat mich in dieser Beziehung allerdings sehr versaut und somit waren zwei Monaten Backpacking mehr als genug. Was mir gefehlt hat war der Weg dazwischen. Den Teil zwischen in den Nachtbus steigen und am nächsten Morgen 700km weiter wieder ausgespuckt zu werden. Dabei spielt das wahre Leben eines Landes doch genau zwischen diesen beiden Punkten ab. Dort wo normalerweise keine Touristen hinkommen, ganz einfach weil es dort angeblich nichts zu sehen gibt und der Bus deswegen nicht anhält. Und vielleicht ist das auch ganz gut so, denn wir zerstören in dem wir es finden und so bleiben diese Orte den Radtouristen vorbehalten. Jetzt auf jeden Fall kann ich es kaum noch erwarten wieder an diese Orte zu fahren, wieder der einzige Tourist zu sein, wieder den ehrlichen lachenden schiefen Zähne entgegenzublicken, wieder als Mensch und nicht wandelnde Geldtasche wahrgenommen zu werden, wieder den fröhlichen Schulkinder zu begegnen und vor allem wieder rad- als wie busfahren.
Mélanie ist ein Engel! Nein wirklich, denn als ob sie Gedanken lesen könnte, erfüllt sie mir bereits am nächsten Tag den Wunsch nach Nähe zu den Einheimischen und führt mich in eine Schule für talentierte Kinder aus ärmlichen Verhältnissen. Wir stürzen uns sofort in Gespräche über alles mögliche und die Studenten sind uns dankbar endlich mal ihr gelerntes Englisch zu nutzen. Wir sind ihnen dankbar etwas über die Kultur und Geschichte Kambodschas aus erster Hand zu erfahren. Was für in schöner Start zurück ins Radlerleben. Und dann, zwei Tage später geht es endlich los. Die vielen Taschen auf Chocolate zu laden fühlt sich noch immer total vertraut an. Die ersten Pedalen-Umdrehungen sind wie ein Geständnis ans Leben – ich bin zurück!! Also schnell raus aus der Stadt und ab aufs Land. Nach etwas mehr als 40km wechselt der Untergrund von smoothen Asphalt auf holprige Landstrasse und die Betonhäuser in einfache Hütten aus Bretter und Wellblech. Hier gibt es keine Hotels oder Gasthäuser und so schlage ich kurz vor Sonnenuntergang direkt am Ufer des Mekong mein Zelt auf. Als wäre ich nie weggewesen, steht mein Camp innert wenigen Minuten. Wenn jetzt auch noch der Benzinkocher anspringt, dann steht einem friedlichem Abend definitiv nichts mehr im Wege. Fertignudeln würde ich zu Hause ja als alles andere wie Gourmet oder Kochen im eigentlichen Sinne bezeichnen, hier draussen jedoch gibt es fast nicht besseres. Und siehe da, ein Funkenschlag genügt und der Kocher brennt!
Ein bisschen Bestechung muss sein
Die Nacht war kurz, denn auf dem Weg zum Ufer mussten zahlreiche Fischer mein Camp durchqueren. Die frühaufstehende Mönche halfen dabei auch nicht wirklich. Also fahre ich weiter über die holprige Landstrasse in Richtung Norden. Ziel: Laos, so in ungefähr 5 Tagen. Mein treuer Begleiter auf der rechten Seite heisst Mekong und ist einer der grössten Flüsse weltweit. Kurz passiere ich eine grössere Ortschaft mit diversen Essständen, verziehe mich aber gleich wieder zurück auf die Landstrasse. Die Sonne steht schon so tief, dass mein Schatten über den gesamten Weg auf die daneben liegenden Bäumen geworfen wird. Ein Nachtlager muss jetzt schnell her, der Weg ist jedoch gesäumt von Hütten und ich getraue mich nicht nachzufragen. Normalerweise sind Tempel noch so quasi einen Notnagel, doch nicht mal ein solcher taucht auf. Ein Pfad raus auf die Reisfelder erweist sich schlussendlich als die erhoffte Lösung. Weit weg vom nächsten Dorf werde ich neben einem kleinen Reisfeld fündig und baue mein Lager auf. Die Ruhe ist gespenstig schön. Nur wenige Grillen stören die absolute Ruhe und die Temperatur ist endlich in einen ertragbaren Bereich gefallen. Heute Nacht gibt es den lang ersehnten Schlaf! Oder doch nicht?
Der Typ vor meinem Zelt schreit schon zum vierten mal «Hello» und es wird nun wirklich Zeit das Zelt zu verlassen, bevor der Typ mit der Kalaschnikow zusätzliche Luftlöcher reinschiesst – mich inklusive. Soll ich nun die Hände hochhalten wie in den Filmen, oder wäre das übertrieben? Ich entscheide mich für Konversation und rufe mehrmals «only Tourist» sowie «no problem» – oder hätte ich besser das Wort «Problem» nicht erwähnen sollen und dafür eher «väry guud»? Naja wir werden es jetzt gleich sehen. Leicht nervös trete ich ins Scheinwerferlicht und die Situation entspannt sich augenblicklich. Da kommt nämlich nicht ein international gesuchter Verbrecher zum Vorschein, sondern eher ein etwas abgemagerter, dreckiger und sonnenverbrannter Farang zum Vorschein. Eine Gestalt beginnt sogar zu kichern, was mich zwar etwas kränkt ich aber ohne zu zucken akzeptiere – aber nur wegen der Kalaschnikow. Ein Mann mittlerer Statur um die 30 macht einen Schritt auf mich zu und so wird endlich der Lichtstrahl von mir abgelenkt. Jetzt erkenne ich auch die anderen Personen und schnell sinkt mein Puls um gefühlte 100 Schläge. Vor mir steht nicht eine Räuberbande sondern die Polizei (mit 5 Freunden). Der Mann vor mir spricht etwas Englisch und schnell erkläre ich ihm meine Situation. Während der Polizist ein gutes dutzend Telefongespräche führt, versuche ich seinen 5 Freunden die Campingausrüstung zu erklären. Beim Zelt gab es nicht nur grosse Augen, sondern auch ernstgemeinte Kaufangebote. Daher verzichte ich darauf den multifunktionalen Benzinkocher zu erklären und zeigte dafür die Hängematte. Nach einer halben Stunde steht das weitere Vorgehen fest – « you come, sleep Police home». Ich muss in den Knast?? Wollte doch nur im Busch draussen schlafen… jänu, Zelt abbrechen, Sachen packen und dem Polizei-Mofa folgen. Auch wenn der Typ (nicht der Polizist) seine Kalaschnikow mittlerweile abgelegt hat, herausfordern will ich heute niemanden mehr. Nach einer glücklicherweise kurzen Fahrt erreichen wir das «Police-Home» und, nein, ich werde nicht in den Knast gesteckt, sondern zum Bierholen geschickt. Soll mal einer begreifen. Bakshish muss sein, und so trotte ich zu einem eigentlich bereits geschlossenen Allerlei-Laden um die Ecke. Mit Hilfe der Staatsgewalt wird der Shop kurzerhand geöffnet und der Verhörraum zur Degustationshalle umgewandelt. Wir sprechen mit Händen und Füssen über das Leben und seine verrückten Seiten, lachen Tränen, umarmen uns und beweisen dass trotz kultureller Unterschieden trotzdem alle irgendwie gleich sind. Am Schluss werde ich nicht in die Zelle gesteckt sondern darf das Zelt direkt neben dem Polizeiposten aufbauen. Merci Kambodscha!
Wie geht’s weiter?
Die Strassen bleiben staubig und werden immer kleiner. Teilweise so klein, dass diese nicht einmal mehr auf dem GPS ersichtlich sind. Die weit aufgerissenen Kinderaugen sowie der Ausruf «Farang» begleiten Chocolate und mich. Nach etwas mehr als 500km erreiche ich Laos und somit das 17te Land auf dem langen Weg um die Welt. An dem traumhaften Ort «4000 islands» geniesse ich die Ruhetage, bevor es hinein in das Herz des Kaffees geht (habe ich schon mal erwähnt dass ich Kaffee liebe?). Vollgepumpt mit Koffein will ich das Abenteuer nochmals suchen und begebe mich auf den Dschungelpfad «23» – doch dies ist eine andere Geschichte!
Farang
Ich habe ehrlich gesagt keine Ahnung woher der Begriff kommt (habs nie gegoogelt), aber zumindest in Kambodscha (Barang) sowie Laos wurde es mir oft zugerufen. Übersetzt bedeutet es ungefähr so viel wie «Ausländer» oder «Bleichgesicht». In vielen Dörfern wird es einmal quer durch den Ort gerufen und innert Kürze versammelt sich die gesamte Gemeinschaft am Strassenrand (man fühlt sich dann wie der Papst oder so).
Bilder kann ich zurzeit leider keine hochladen, da ich in einem Wahn von Gewichtsparen den Laptop nach Hause geschickt habe und somit keine Fotos von der Kamera übertragen kann. Ich gelobe Besserung! Bis es so weit ist, gibt es immer neue Bilder auf Facebook und Instagram.