Yes, die ersten Meter im Iran sind geschafft!!! In unzähligen Reiseberichten habe ich von diesem Land gelesen – und alle schwärmen von der Gastfreundlichkeit. Sind die Menschen hier den Ausländern gegenüber wirklich so offen oder stimmt doch eher das Bild von den Medien, welche ein zorniges, aufgebrachtes und von Extremisten verseuchtes Volk darstellen? Tatsächlich kann ich auf den ersten Metern niemanden sehen, welcher eine amerikanische Flagge verbrennt. Auch sehe ich keine Menschenaufläufe bei welchen irgendwelche Ungläubige zu Tode gesteinigt werden. Das einzige was ich sehe sind fröhlich lachende Gesichter und das einzige was ich höre ist „Hello Mister, welcome to my country“. Sofort fühle ich mich wohl – und hungrig. Also ab ins nächste Restaurant und mal die Speisekarte studieren welche glücklicherweise nicht nur in Arabisch sondern auch in Englisch geschrieben ist. Eine Pizza kostet 12‘000 was umgerechnet 37 Rappen ist – viel zu günstig denke ich mir, bin jedoch natürlich auch froh darüber, dass es so günstig ist hier. Beim Bezahlen zücke ich dann freundlich die 20‘000er Note, worauf der Inhaber meint dass dies viel zu wenig ist. Der Betrag in der Karte ist in Toman geschrieben – eine Währung, welches es eigentlich gar nicht gibt, mit welcher aber jeder Iraner rechnet da diese eine Null weniger hat als wie die offizielle Rial. Also kostet die Pizza 120‘000 Rial was entsprechend teurer ist. Für Schweizer Verhältnisse aber noch immer günstig. Etwas murrend bezahle ich und fahre weiter nach Maku. Hier möchte ich gerne im Stadtpark zelten, allerdings finde ich keinen solchen Park. Das Dorf liegt inmitten von Bergen und somit gibt es schlicht keinen freien Platz für ein Zelt. Also beziehe ich schlussendlich ein extrem schäbiges aber dafür günstiges Hotel. Am nächsten Tag kann ich mal endlich ein grösseres Stück auf iranischem Boden zurücklegen, werde aber vorher noch zu Tee und Früchten eingeladen. Zu meinem Erstaunen sprechen viele Iraner englisch und so kann ich nach langer Zeit endlich mal wieder ein paar Gespräche führen.
Australien im Iran
Der Tacho zeigt noch nicht mal 20Kilometer an, als auf der anderen Seite der Strasse ein freudiger Schrei ertönt. Ich traue zuerst meinen Augen nicht, aber da fährt doch tatsächlich ein anderer Reiseradler entgegen meiner Richtung! Der Bart ist in etwas 10mal so lang wie meiner und auf dem Baseballcap prangt gross das MTV-Logo – definitiv kein Iraner! Der bärtige stellt sich als Calum aus Australien vor und er ist bereits seit 2 Jahren unterwegs. Die letzten 59 Tage davon im Iran! Somit kann er mir gleich super Tipps sowie auch ein paar Kontakte geben. Wir tauschen noch die Sim-Karten aus, und so hat er direkt Internet nach überqueren der Grenze in die Türkei. Nach einem lustigen und langen Gespräch setzen wir beide unsere Reise fort. Irgendwie sind wir beide etwas im Stress. Ich, weil ich spätestens am 09.09 in Teheran sein muss, und er, weil er unbedingt ein Bier braucht 😉
Der Verkehr im Iran ist hirnrissig! Fahrspuren gibt es hier praktisch nicht, und die Leute überholen wo und wie sie gerade möchten. Auch im grössten Gegenverkehr überholen sie und keine Ahnung wie, aber irgendwie schaffen sie es immer im letzten Moment eine Frontalkollision zu verhindern. Aber auch die Fahrzeuge sind teilweise hirnrissig. Mit überqueren der Grenze sind diese auf einen Schlag im Schnitt mindestens 20 Jahre älter geworden, und so teile ich mir nun die Strasse mit alten Paykans und noch älteren Mercedes Lastwagen und Bussen – exakt diese, welche man heute noch teilweise im Berliner Stadtteil Kreuzberg vor besetzten Häusern sieht. Die Abgase von diesen alten Monstern gelangen praktisch ungefiltert über riesige Auspuffrohre auf die rechte Strassenseite – also dort wo ich fahre. Somit sehe ich abends jeweils aus wie schwarz angemalt und der Hals fühlt sich auch entsprechend an. Gesund ist das nicht!
Dennoch gefällt mir der Iran auf Anhieb und ich verbringe die zweite Nacht in einem sehr belebten Stadtpark. Ein paar Jungs bringen mir sogar extra noch Tee und Süsses vorbei. Am nächsten Morgen probiere ich dann auch noch den iranischen Frühstückstisch aus und bin einfach nur noch begeistert! Das Brot ist unglaublich gut und zusammen mit dem frischen Honig fühle ich mich wie in einem grossen Gourmettempel.
Erster Kontakt mit der iranischen Gastfreundschaft
Mit Marand erreiche ich abends die erste etwas grössere iranische Stadt. Während ich am Strassenrand kurz anhalte um auf der Karte nachzusehen wo sich der nächste Park befindet, werde ich gleich von einem jungen Mann angesprochen. Er sei von Warmshowers, heisse Ershan und könne mir in allen Belangen helfen. Sofort werde ich zum Abendessen eingeladen und mein Fahrrad inkl. Gepäck in ein leerstehendes Geschäft verfrachtet. Die Nacht könne ich dort verbringen und am nächsten Morgen bringt er dann auch noch Frühstück vorbei! Wow, ich bin völlig sprachlos. Kurz darauf kommen dann noch seine Freunde hinzu und gemeinsam fahren wir mit dem Auto zu einem seiner Kollegen nach Hause. Dort geniessen wir mit der Familie zusammen frische Melonen, bevor wir zum Eis-Stand aufbrechen. Die halsbrecherische Fahrt dazwischen raubt mir dabei fast die Nerven. Unglaublich dass es so selten zu Crashs kommt. Einer in der Runde ist Computer-Hacker und kennt sich auch besonders gut mit Smartphones aus. So bin ich kurze Zeit später im Besitz von unbegrenztem Internet! Azad, ein weiterer in der Runde wohnt in Tabriz und lädt mich sogleich ein ihn dort besuchen zu kommen. Dieser Ort liegt tatsächlich auf meiner Route und so sage ich gerne zu.
Tatsächlich klopft Ershan am nächsten Morgen an das Fenster und bringt eine ganze Wagenladung Frühstück vorbei. Nach ein paar lustigen Gesprächen starte ich in die unerträgliche Hitze und werde gleich mit einem 9km langen Aufstieg fertig gemacht. Anschliessend geht es glücklicherweise fast nur noch abwärts und so erreiche ich am späteren Nachmittag Tabriz. Dazwischen werde ich sehr oft von den Autofahrern angehalten und mit Früchten, Getränken und Süssem überhäuft. Oft muss ich ablehnen, da schlicht schon alle Taschen gefüllt sind, und ich gar nicht so viel essen kann. Sehr viele laden mich auch nach Hause ein und bevor ich die Stadtgrenze von Tabriz erreiche, habe ich bereits drei weitere Angebote zum Übernachten erhalten – unglaublich wie freundlich die Menschen hier sind!
In Tabriz treffe ich wieder auf Azad und ich darf zwei Nächte in seiner Wohnung verbringen, welcher er mit seinem Bruder und einem Kollegen teilt. Wir schlafen alle in einem Raum direkt auf dem Perser-Teppich. Tagsüber treffen wir seine Kolleginnen und Kollegen und mit seinem Auto erkunden wir die Stadt, wobei sich Azad als exzellenter Tourguide herausstellt. Zudem erfahre ich wieder viel über die iranische Kultur und bemerke, dass man zwischen zwei Bevölkerungsgruppen unterscheiden muss:
1. Die gläubigen Muslimen, welche mehr oder weniger die gleiche Linie befolgen wie die Regierung.
2. Die nichtgläubigen, welche nur ausserhalb ihrer Häuser die Regeln von der Regierung befolgen.
Welche Gruppe grösser ist weiss ich nicht…
Vom Lagerfeuer zu Morgan Freeman!
Nach einem verdienten Ruhetag setze ich die Reise in Richtung Teheran fort. Nun komme ich in dünn besiedeltes Gebiet und somit bunkere ich etwas mehr Wasser als wie üblich. Auf dem Weg nach Teheran kann ich zwischen zwei Strecken entscheiden: Den Highway, welcher entsprechend gross und busy ist, oder die alte Landstrasse, welche mehr durch die Dörfer führt und auch der Verkehr etwas geringer ausfällt. Natürlich entscheide ich mich für die Landstrasse und finde mich so kurze Zeit später wieder inmitten von kahlen Hügeln und langen fruchtbaren Tälern wieder. Ein super Ort zum wildzelten und so verbringe ich die Nacht mitten im Nirgendwo und ohne jegliches Handy-Signal an einem ausgetrockneten Flussbett. Mein Lagerfeuer ist die einzige Lichtquelle weit und breit und ich geniesse die Ruhe sowie den Sternenhimmel.
Die Strasse ist in einem sehr guten Zustand und so fresse ich regelrecht die Kilometer. Innert zwei Tagen kommen über 230 Kilometer auf den Tacho! Die zweite Nacht verbringe ich bei einer Tankstelle auf einer Metallpritsche, welche mir der Besitzer freundlicherweise zur Verfügung gestellt hat. Mal etwas anderes, so direkt am Strassenrand ohne Zelt zu schlafen.
Am nächsten Tag fehlen mir nur noch 70km bis Zanjan, die nächstgrössere Stadt. Auf dem Weg dorthin werde ich von Farmern auf Melone und Tee eingeladen und von einem Schüler sogar zum Mittagessen. Seine Familie macht ein BBQ und ich bin herzlich eingeladen! So verbringe ich mehrere Stunden mit seiner Familie und geniesse ein köstliches und typisch iranisches Mittagessen. Durch das lange Gespräch verzögerte sich die Ankunft in Zanjan und ich habe fast ein bisschen ein schlechtes Gewissen deswegen, da ich über Warmshowers mit Amir abgemacht habe. Er ist jedoch total relaxed und zusammen fahren wir zum Haus seiner Schwester wo ich übernachten kann. Dort angekommen stellt sich das Haus als regelrechte Villa heraus und seine Schwester sitzt mit Familie und Freunden an einem grossen Tisch und geniessen den lauen Sommerabend. Was mir sofort auffällt ist, dass keine der Frauen ein Kopftuch trägt und auch die Männer keine langen Hosen tragen. Dafür steht auf dem Tisch eine Whiskey-Flasche. Also dies hier ist ganz sicher die oben beschriebene zweite Gruppe! Wir geniessen zusammen den Abend und im Gästezimmer finde ich später den wohlverdienten Schlaf. Nach einem ausgiebigen Frühstück am nächsten Morgen fahre ich weiter und treffe nach 100km in Abhar ein, ein etwas kleineres Dorf. Mein Plan ist es, hier mal wieder in einem Stadtpark zu übernachten und daher fahre ich mitten in den Dorfkern. Noch bevor ich überhaupt meine Karte rausnehmen kann, werde ich auch hier wieder angesprochen von einem jungen Mann. Er sei von Warmshower und kann mir in allen Belangen helfen… hmmm kenne ich doch von irgendwo 😉 Und tatsächlich finde ich mich weniger später in einer sehr grossen und edlen Wohnung wieder und geniesse mit einer dessen Familie ein weiteres leckeres iranisches Abendessen. Später fahren wir dann zum Garten, welcher sich ausserhalb des Dorfes befindet. Die Jungs haben noch Whiskey gekauft und zusammen haben wir einen sehr lustigen Abend bis in die frühen Morgenstunden. Die Nacht verbringen wir gleich im Gartenhaus, da dieses ungefähr so edel und gross ist wie die Wohnung im Dorf. Der Vater sieht übrigens ein bisschen aus wie Morgan Freeman (s. Bilder (folgen, schlechte Internetverbindung))!
Das Appenzellerland in der iranischen Farm
Ich bedanke mich und fahre sehr spät (bereits Nachmittag) weiter nach Teheran. Der Wind ist mal wieder überhaupt nicht auf meiner Seite und so ist es ein regelrechter Kampf auf den endlos wirkenden Strassen. Geplant war es eigentlich die Stadt Qazvīn zu erreichen, allerdings ist es aufgrund des Windes einfach nicht möglich. Zudem möchte ich nicht in die Stadt hineinfahren, da ich mal wieder echt gerne in meinem Zelt schlafen möchte ohne zu jemandem nach Hause eingeladen zu werden. So schön dies ist, ist es jedoch auch sehr anstrengend da man immer allen Familienmitgliedern vorgestellt wird und somit selten vor Mitternacht ins Bett kommt. Ein kleines Waldstück in der sonst kahlen Gegend hat es mir angetan und als ich auf den Schotterweg einbiege ist es bereits weit nach 21:00 Uhr und somit stockdunkel. Ideal um unbemerkt das Zelt aufzuschlagen, jedoch komme ich gar nicht dazu, da tatsächlich noch ein Bauer in dieser Gegend unterwegs ist. Und dieser will sogleich dass ich ihm zu seinem Bauernhof folge. Ich habe es echt probiert, aber es ist einfach unmöglich eine Nacht ohne Homestay zu verbringen… natürlich darf ich in seinem Haus schlafen. Und wahrscheinlich ist dies der authentischste Homestay meiner ganzen Reise im Iran. Das Bauerhaus ist uralt und fällt schon fast in sich zusammen und gebaut wurde es anscheinend aus den Sachen die hier so rumliegen. Im Hinterhof wohnen ungefähr 60 Schafe, 4 Hunde und eine Katze. Ich schlafe im gleichen Raum wie der Bauer auf einer für mich viel zu kleinen und sehr dreckigen Matratze und der schiefe Boden tut sein restliches für einen guten Schlaf. Dennoch bin ich überwältigt, denn obwohl sich die Besitztümer von dem Mann an einem einzigen Kleiderhaken aufhängen lassen, teilt er alles was er besitzt mit einem völlig fremden Reisenden. Wir verständigen uns mit Händen und Füssen und irgendwie klappt dies tatsächlich. Als wir auf das Thema Heimat zu „sprechen“ kommen, fällt mir ein Foto an der Wand auf. Da hängt doch tatsächlich ein Foto von dem Appenzellerland!!! Somit ist es für mich relativ einfach und ich zeige einfach auf das Foto und sage „Home“.
Trotz der kleinen Matratze finde ich noch genügend Schlaf und so werde ich auch am nächsten Morgen mal wieder mit einem Frühstück geweckt. Sein Kollege und zwei Söhne schauen auch noch vorbei und so starten wir gemeinsam in den kommenden Tag.
Nach einem herzlichen Abschied begebe ich mich in die Stadt Qazvīn wo ich auch sofort wieder vom Fleck weg zu einem Stadtrundgang eingeladen werde. Zusammen besichtigen wir den Basar sowie diverse Museen und historische Gebäuden. Am Nachmittag fahre ich den weiteren Weg nach Teheran und treffe mitten im Nirgendwo auf ein paar Jungs welche in einem Kanal am Baden sind. Das Wasser ist eiskalt, ich freue mich jedoch über die unerwartete „Dusche“. Gegen Abend treffe ich in einem kleinen Ort ein. Ein freundlicher Mann, welcher auf der Wiese sitzt winkt mich zu ihm und während des Gesprächs stellt sich heraus, dass er in Teheran wohnt. Natürlich lädt auch er mich sofort zu ihm nach Hause ein, und da ich noch keinen Schlafplatz in dieser riesen Metropole habe, sage ich gerne zu. Die folgende Nacht aber verbringe ich mal endlich wieder in meinem Zelt!
Endspurt ins Verkehrschaos – Teheran
Ausgeschlafen mache ich mich am nächsten Tag auf die letzten Kilometern nach Teheran. Der Verkehr ist noch schrecklicher als er in allen Reiseberichten beschrieben wird, und sehr oft fehlen nur wenige Zentimeter. Dennoch schaffe ich es gegen Abend in die Stadt und versuche nun die Adresse von dem Mann vom Vortag ausfindig zu machen. Leichter gesagt als getan, denn die Strassennummern sind nur in arabischer Schrift angeschrieben. Glücklicherweise sind in meinem Reiseguide aber die Zahlen übersetzt und so finde ich tatsächlich das richtige Haus. Ich verbringe einen weiteren wundervollen Abend zusammen mit einer herzlichen Familie und geniesse dabei das leckere iranische Essen. Leider kann ich hier nur eine Nacht bleiben, da es anscheinend ziemlich kompliziert ist mit seiner Familie einen Ausländer zu beherbergen. So muss ich bereits um 6 Uhr am nächsten Morgen zusammen mit meinem Gastgeber das Haus verlassen – nach ungefähr 3 Stunden Schlaf! Völlig übermüdet fahre ich daher zum nächstgelegenen Stadtpark und schlafe nochmals weitere 3 Stunden in meiner Hängematte bevor ich mich zum Internetcafé aufgebe und nun diesen Bericht schreibe. Wo es heute zum Schlafen hingeht? Der Iran hält anscheinend immer eine Lösung bereit und während ich diesen Text geschrieben habe, wurde ich bereits wieder zu jemandem nach Hause eingeladen – also ich muss los und ein paar neue Freunde kennenlernen!
Die nächsten Tage reise ich zusammen mit einer Arbeitskollegin durch den Iran und somit bleibt Chocolate mal für ein paar Tage stehen! Die Reiseberichte werden dadurch aber bestimmt nicht langweiliger 😉