Mit im Hotelpreis ist auch ein ausgiebiges Frühstück, welches auf der Dachterrasse serviert wird – ein guter Start in den Tag! Gleich danach auschecken, Fahrrad beladen und ab ins Hinterland. Beim Supermarkt lege ich jedoch noch einen kurzen Stopp ein, da man nie weiss wann der nächste Markt kommt, wenn man mal die D200 verlassen hat.
Was auf jeden Fall kommt, ist die nächste Steigung. Und die hat es in sich! Wie ein Schweizer Pass windet sich die Strecke über einen Berg, direkt nach Verlassen von der D200. In der Hälfte muss ich einen ungewollten Zwischenstopp einlegen, da ein Fahrzeug mit Bauarbeiter vor mir anhält. Ein Typ steigt aus und droht mir mit Schlägen! Ich glaube dass ich im falschen Film bin… Er zeigt auf meinen Fahnenmast und allmählich wird mir klar, dass er unzufrieden ist, dass die türkische Fahne unterhalb der slowakischen, bulgarischen und natürlich schweizer-Fahne ist. Er zieht an den Fahnen herum und ich kann ihn kurz vor der Zerstörung der anderen Fahnen noch stoppen. Die türkische Fahne wird kurzerhand unter die Schweizer-Fahne geschoben und alles ist wieder in Ordnung – zumindest für mich. Der Typ tobt noch immer, da die türkische Fahne noch immer nicht die oberste ist! Ja leck mich doch am Arsch… mit Händen und Füssen erkläre ich dem Spatzenhirn dass dies meine Heimat ist, und die Fahne keinen Millimeter verschoben wird. Geht auch gar nicht, da diese mit Superkleber befestigt ist und sich sowieso nicht verschieben lässt. Nach einer gefühlten Ewigkeit hat es auch dieser Idiot endlich begriffen und ich darf weiterfahren – mit der Schweizer Fahne ganz oben und der türkischen direkt darunter. Die anderen Fahnen haben ihren neuen Platz im Gepäck gefunden. Nach dem Berg folgt die verdiente Abfahrt, auf welche allerdings gleich wieder ein neuer Anstieg folgt. So geht es über die nächsten Kilometer weiter. Ich nenne dies „Turkish Flat“, da die Strasse auch schon vor Istanbul so war und alle Leute immer gesagt haben dass die Strecke „flach“ sei. Irgendwann dazwischen werde ich von einem Traktor ausgebremst, dessen Fahrer (bestimmt schon über 70) ebenfalls wegen der Fahne rummotzt. Also geht das gleiche Spiel wieder von vorne los, nur dass ich diesmal nicht Schläge befürchten muss. Teilweise ist die Kommunikation sogar ziemlich lustig: Er küsst die türkische Fahne, ich küsse die Schweizer Fahne. Würde dies ein vorbeifahrender Autofahrer sehen, er würde wahrscheinlich die Psychiatrie anrufen. „Hallo, hier auf der Landstrasse küsst ein Opa und ein Bärtiger abwechselnd irgendwelche Fahnen die an einem Fahrrad befestigt sind…“ Beim Gedanken daran lache ich mich auf jeden Fall halb Tod 😉
Bei fast 33 Grad erreiche ich nach dem Mittag endlich Haymana. Der Ort ist bekannt für seine heissen Thermalbäder welche Dank den unterirdischen Vulkanen mit über 40 Grad Wassertemperatur aus den Hähnen sprudeln. Weniger bekannt ist der Ort dafür, dass er auf einem nicht gerade kleinen Hügel liegt. Also die müden Radlerbeine noch etwas quälen, bevor diese dann in das warme Bad dürfen. Es ist Freitag und somit Wochenmarkt – ich bestaune die frischen, unzähligen und in diversen Farben glänzenden Früchte & Gemüse und die Leute betrachten den komischen verschwitzten Alien mit seinem Fahrrad. Im heissen Thermalbad dann endlich Entspannung pur, obwohl das Wasser derart heiss ist, dass man es nie länger als 4-5 Minuten im Wasser aushält. Gegen 16:00 Uhr habe ich genug und möchte eigentlich nur noch einen Schlafplatz finden. Dies stellt sich bei der örtlichen Tankstelle jedoch als unmöglich heraus, da mal wieder keine Wiese vorhanden ist. Zudem ist der Besitzer ein etwas komischer Kauz, bei welchem jeder Satz mit „My president…“ beginnt. Also lieber weg und noch ein paar Kilometer machen. Auf dem Weg liefere ich mir ein kleines Rennen mit einem Traktor, welcher auf der Ladefläche dutzende Feldarbeiter geladen hat. Bei jedem Hügel überholt er mich, um nur kurze Zeit später bei der nächsten Abfahrt wieder von mir überholt zu werden. Die Feldarbeiter kommentieren die Szenerie mit Rufen, Klatschen, Lachen und Pfiffen. Die Gegend wird wieder etwas fruchtbarer und teilweise kommen doch tatsächlich mal wieder ein paar Bäume zum Vorschein. Auch diverse Wasserstellen sind vorhanden, was das wildzelten sehr interessant macht. Die blaue Linie auf dem GPS zeigt alles geradeaus, und die Strasse führt auch in exakt die gleiche Richtung. Nur steht da auf einmal ein Polizeiwagen quer auf der Strasse und zwingt mich somit eine andere Strasse zu nehmen. Wieder einmal eine Baustelle mit besonderem „Stellenwert“. Also ja keine Fotos machen, denn sonst muss ich wahrscheinlich wieder eine Kamerakontrolle über mich ergehen lassen. Eine andere Strasse führt in Richtung Süden und somit folge ich einfach dieser. Mittlerweile ist es spät geworden und ein Schlafplatz wird dringend notwendig. Ein paar Bäume am Strassenrand bieten guten Sichtschutz vor dem Verkehr und zudem die nötigen Befestigungsmöglichkeiten für die Hängematte. Von weitem höre ich Hundebellen und vereinzelt auch Schüsse, denke mir jedoch nichts Böses dabei. Wieso auch, bin ja nur ein Tourist und dem werden sie schon nichts machen. Die Sonne hat den Horizont schon fast verlassen und ich liege bereits mit dem Schlafsack in der Hängematte, als plötzlich aus dem Gebüsch hinter mir ein Bauer kommt. Unmissverständlich zeigt er mir dass ich verschwinden soll und läuft anschliessend wieder in das Gebüsch zurück. Also lege ich meinen Kindle zur Seite und… ach leck mich doch. Es ist schon fast 21:00 Uhr und in wenigen Minuten ist es dunkel. Ich gehe heute nirgendswo mehr hin! Nach weiteren Minuten kommen drei Gestalten um die Ecke. Eine davon hat etwas grosses langes in der Hand und im ersten Augenblick befürchte ich, dass es sich um ein Gewehr oder so handeln könnte. Beim näheren Betrachten wird mir allerdings klar, dass es sich nur um einen Stock handelt und mir fällt ein Stein vom Herzen. Eine der Gestalten kann ein paar Brocken Deutsch, und nachdem ich erklärt habe dass ich aus der Schweiz komme, darf ich dann auch plötzlich über Nacht bleiben. Wusste ich es doch! Also noch kurz etwas die Sterne geniessen und dann gemütlich in der Hängematte einschlafen.
Etwas nerviges reisst mich aus dem Schlaf und es ist nicht der Wecker – denn es ist erst 03:00 Uhr morgens. Es ist die Kälte, welche sich langsam von unten durch die Hängematte frisst und mich schlaflos macht. Gedanklich gehe ich die Möglichkeiten durch, wobei es nicht wirklich viele gibt. Alles was warm gibt, habe ich bereits an. In der Apotheke ist noch eine Notfalldecke, welche genügend Wärme speichern sollte. Und sonst gibt’s ja noch das Zelt. Aber aufstehen möchte ich nicht! Es ist doch gerade soooo gemütlich hier. Nach weiteren 30min ohne Schlaf stehe ich widerwillig auf, laufe zur Campingausrüstung, ziehe mein Zelt heraus und beginne mit dem Aufbau. Licht brauche ich nicht, denn die Abläufe kann ich mittlerweile im Schlaf… ooooch schlafen wäre jetzt soo schön. Nach wenigen Minuten steht das Zelt und weiteren 3 Stunden Schlaf steht nichts mehr im Weg.
Der Abbau dauert etwas länger, da abgesehen von der Hängematte nun auch noch das Zelt abgebaut werden muss. Dennoch schaffe ich es vor 09:00 Uhr zurück auf die Strasse, welche vorerst flach ist aber kurze Zeit später wieder mit einem Anstieg von mehreren Dutzend Höhenmetern weitergeht. Die Gegend um mich herum erinnert mich stark an Nevada – da ist nix was noch einigermassen lebt. Keine Bäume, keine Büsche, keine Häuser. Einfach nur Steppe… und das gefällt mir besonders gut! Hier in der Wüste findet man endlich die Ruhe, welche man sonst nur noch schwer auf der Welt findet.
Nach dem nächsten Pass erreiche ich das 1000 Einwohnerdorf Venice (klingt etwas kalifornisch, ich kann euch aber versichern dass ich noch immer in der Türkei bin). Ich brauche Wasser und etwas Menschen zum Quatschen. Also ab ins Dorfzentrum, denn dort sind immer ein paar Leute am Cay trinken. Und schon werde ich an den Strassenrand gerufen, um dort auf ein paar Plastikstühlen mit den Einheimischen Cay zu trinken. Eine weitere türkische Eigenschaft ist, dass es in jedem Dorf mindestens eine Person gibt, welche etwas Deutsch kann. Auch wenn diese vielleicht nicht auf einem der Plastikstühlen sitzt, nach ein paar Cay’s taucht diese Person bestimmt auf. Und auch hier ist dies der Fall. Osman begrüsst mich mit den Worten „woher chunnsch du?“. Genau, Schweizerdeutsch! Er hat viele Jahre in Basel gewohnt, ist nun aber vor ein paar Jahren zurück in die Heimat gekehrt – Heimat bleibt Heimat! Ich geniesse es mal wieder schweizerdeutsch zu sprechen und so vergehen Minuten und Cay’s. Immer mehr Leute gesellen sich zu der Runde und auch das Dorfoberhaupt darf ich kennenlernen. Es ist fast wie eine grosse Familie, fast ein bisschen wie das Dorfleben in den Schweizer Bergen.
Irgendwann löse ich mich aus dieser Gemeinschaft, und fahre weiter auf den Landstrassen durch die vielen kleinen Dörfer. Immer wieder werde ich zum Cay eingeladen, lehne jedoch dankend ab, da heute noch ein paar Kilometer purzeln müssen. Nach mehreren Hügel und Dörfer erreiche ich den nächsten Highway, die D750 auf welcher ich in südöstlicher Richtung nach Kappadokien fahren werde. Die Schlafplätze sind auch hier wieder äusserst rar, und praktisch nirgendswo sind Bäume zu sehen. Nach 80km finde ich eine Raststätte mit ein paar Bäumen und das Personal lässt mich dort campieren. In der Moschee gibt es auch warmes Wasser, wodurch ich eine gemütliche Dusche geniesse und die Kleider waschen kann. Am Abend werde ich Zeuge wie hunderte wenn nicht gar tausende von Vögeln die wenigen Bäume besiedeln. Und entsprechend sieht mein Zelt am nächsten Tag aus… Shit! Also vor dem Zähneputzen erstmal das Zelt putzen – ganze 20min lang! Scheiss Viecher.
Über die D750 erreiche ich nach 2 Stunden den Tuz Gölü, ein Salzsee welcher aber um diese Jahreszeit zu weiten Teilen ausgetrocknet ist. Ich fahre die Strasse entlang, während sich neben mir eine riesige Ebene aus trockenem, salzigem Sand auftut. Das Gefühl ist wie bei der Anfahrt zum Burning Man, kurz bevor man den Asphalt verlässt und auf dem sandigen Boden ins Nirwana aus Glück fährt. Und daher mache ich nun genau dies… ich verlasse die Strasse und fahre auf dem Sand etwas in das Becken wo eigentlich das Wasser vom Tuz Gölü sein müsste. Es eignet sich wunderbar für Fotos (siehe Bildergalerie). Nach einem ausgiebigen Fotoshooting fahre ich zurück auf die D750 und komme kurze Zeit später in eine Baustelle. Der Platz wird knapp und die Lastwagen und Busse donnern nun mit nur wenigen Zentimetern Abstand an mir vorbei – volle Konzentration! Doch irgendetwas lenkt immer die Aufmerksamkeit ab. Dieses Mal ist es ein Logo welches mir so vertraut und bekannt vorkommt, dass ich ein zweites Mal hinschauen muss. Da überholt mich doch tatsächlich ein VW Polo mit grossem „Hajk“ Logo auf der Rückseite. Kurz Kennzeichen checken und dann die Gewissheit – ein Kreuz, diverse Nummern und Neuenburger Wappen. Es sind tatsächlich Schweizer!! Und das Beste, sie haben meine Schweizer Fahne erkannt und warten an der nächsten Raststätte. Aurélie und Maurice sind auf der Mongol Rally unterwegs und sind vor wenigen Tagen noch in Lom gestartet. Das Ziel liegt irgendwo in der Mongolei und somit führt ihr Weg über den Pamir Highway – einen Weg den ich unbedingt mal noch mit dem Rad fahren möchte. Wir quatschen übers Reisen und über Abenteuer. Wieder mal etwas Schweizerdeutsch reden tut gut, und vor allem mit Menschen welche ebenso gerne das Abenteuer lieben wie ich. Gute 500-600km schaffen sie am Tag und so fahren sie nach einem kurzen Gespräch und natürlich ein paar Fotos weiter. Ich bewältige noch die Baustelle und biege dann nach der Ortschaft Şereflikocisar links in die Berge ab. Vom Highway habe ich genug und das Hinterland hat mich so sehr entzückt, dass ich noch etwas mehr davon haben möchte. Die Strasse ist gut und die Menschen freundlich. Die Plätze zum wildzelten sind schon fast unzählig und überall gibt es gutes Trinkwasser aus Quellen. Es war die richtige Entscheidung den Highway zu verlassen! Eine Wiese weitab von der Strasse und mit „Quellenanschluss“ hat es mir besonders angetan und so baue ich an diesem verlassenen Ort weit weg der Zivilisation mein Zelt auf. Noch kurz etwas kochen, dabei die Hälfte der Nudeln auf den Boden verschütten (ich Idiot) und dann ab ins Bett. Kurz bevor ich einschlafe, höre ich noch wie sich die ersten Tiere über die Nudeln am Boden stürzen. Mein Mittagessen für den nächsten Tag hängt jedoch sicher in der Baumkrone J
Heute ist der Tag der Tage! Heute geht es in die unglaubliche Gegend von Kappadokien – eine Welt wie im Märchen, eine Welt welche nicht von dieser Welt ist! Wenn ihr es nicht glaubt, dann googelt es mal! Also starte ich voll motiviert in einen der anstrengendsten Tage meiner Reise. Glücklicherweise weiss ich das zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Man nehme eine Prise Gegenwind (so ungefähr 30km/h), mischt es mit steilen Anstiegen und verfeinert dann das Ganze noch mit Strassen aus grobem Kies und tiefen Schlaglöchern – et voila, man hat den absoluten Radfahrer-Albtraum erschaffen! Mit Mühe und Not sind noch so ungefähr 10 – 12km/h möglich. Zu wenig um heute noch Kappadokien zu erreichen, welches fast 100km entfernt liegt. Es sei denn man hat Musik dabei, denn mit Musik habe ich bisher jede Entfernung irgendwie gemeistert. Also Ohrstöpsel montieren und weiterfahren. Gegen Mittag stehen dann auch tatsächlich 56km auf dem Tacho und an einer Wasserstelle mache ich unter ein paar Bäumen eine ausgiebige Mittagspause in der Hängematte. Mein Körper ist müde und ausgelaugt und sofort falle ich in einen tiefen Schlaf. Der Wecker bewahrt mich davor, länger zu bleiben als wie geplant. Ich kann es heute schaffen und buche noch kurz ein Hostel in Göreme. Bis Kappadokien fehlen noch ca. 40km! Let’s Go!!
Um kurz vor 17:00 Uhr erreiche ich Nevşehir, die letzte grössere Ortschaft bevor es in den Nationalpark geht. Ich hole noch kurz etwas Cash, da ich nicht weiss wieviel Bankautomaten es in der kleinen Ortschaft Göreme hat – was natürlich absoluter Blödsinn ist, da dies die wahrscheinlich grösste Touristenattraktion von der Türkei ist und es auch entsprechend ausgebaut ist. Nachdem ich den Verkehr von Nevşehir hinter mir gelassen habe, passieren zwei Weltwunder. Das erste ist die perfekt asphaltierte Strasse mit einem Veloweg!!! Ich muss natürlich sofort ein Beweisfoto schiessen, denn sonst wird mir das niemand glauben können. Das zweite Weltwunder geschieht nachdem ich die Ortschaft Uchisar hinter mir gelassen habe. Die Landschaft ändert sich schlagartig, die Felsen nehmen völlig andere Formen an und dann liegt es vor mir – Kappadokien! Der Ort wo die Menschen in den Felsen leben, wo die Natur und der Mensch zusammen gezaubert haben. Einfach unbeschreiblich schön, einfach weltweit einzigartig. Die Strasse geht steil bergab, und so schiesse ich vorher noch ein paar Erinnerungsfotos mit Chocolate vor der einzigartigen Kulisse von Kappadokien. In Göreme angekommen störe ich mich zuerst an dem völlig überrissenen Tourismus, welcher den Ort bis in den hinterletzten Winkel dominiert, freue mich aber dann an meinem Hostel bei welchem ich ebenfalls im Felsen wohnen werde. Die Begrüssung ist freundlich, ein Platz für Chocolate ist reserviert und die langersehnte Dusche steht ebenfalls bereit (wenn auch nur mit kaltem Wasser). Den 5er Dorm habe ich für mich alleine und so geniesse ich die erste Nacht von womöglich noch vielen in Kappadokien. Ein Traumland welches seinesgleichen sucht!