Der heutige Tag beginnt früh – sehr früh für meine Verhältnisse. Als der Wecker um kurz nach 6 Uhr klingelt, stehe ich tatsächlich nach dem 4mal Snooze-Button drücken auf – also schlussendlich um 06:40 Uhr. Ich möchte heute möglichst viele Kilometer fahren, da wieder viele Höhenmeter auf dem Programm stehen und ich die Hitze vom Vortag (Mudanya-Bursa) noch in bester Erinnerung habe. Jedoch hat das Ganze noch einen kleinen Haken, über welchen ich mich aber freue. Radio Top hat von meiner Reise erfahren, und möchte heute ein kleines Interview via Skype machen. Da sowieso kein WiFi verfügbar ist, werden wir es wohl oder übel über das normale 3G Netz von Turkcell machen müssen (zum Glück habe ich mir damals in Istanbul eine türkische SIM Karte gekauft). Allerdings hat Turkcell in den Bergen durch welche ich fahren möchte keinen Empfang. Somit fällt eine frühe Abfahrt ins Wasser und ich muss warten bis mich Raoul, der Moderator, anruft. Er meldet sich glücklicherweise schon sehr früh und möchte das Interview noch gerne etwas früher machen. Für mich also perfekt! Schnell packe ich die Sachen zusammen und belade Chocolate, was immer sehr zügig geht, wenn kein Zelt abgebaut werden muss. Auf der Strasse erlebe ich dann noch ein kleines Wunder… einen sehr bedeckten und regnerischen Himmel begrüsst mich an diesem Montagmorgen und es sieht ganz so aus, als würde die Hitze nicht das grosse Problem heute darstellen. Während ich auf den Anruf von Raoul warte, sprechen mich drei türkische Männer an. Und siehe da, einer von ihnen hat mal in der Schweiz gelebt und spricht schweizerdeutsch! Er erklärt mir welche Brunnen in der Umgebung gutes Trinkwasser führen und zeigt mir auch noch die Bäckerei mit dem superleckeren Brot gleich um die Ecke. In der Auslage liegen unzählige verschiedene Brotsorten, mein „Guide“ zeigt mir aber zwei Brote welche super seien. Also packt der Bäcker diese in eine Tüte und überreicht sie mir – Geld will er dafür aber keines, denn schliesslich ist es eine Ehre, dass ein ausländischer Fahrradtourist sein Brot isst. Wow Türkei, ich bin wieder einmal sprachlos muss aber schnell wieder meine Sprache suchen, da Raoul anruft. Auf einem Stuhl aus Stein direkt vor der örtlichen Moschee machen wir das Interview, welches dank noch guter Netzabdeckung problemlos über die Bühne geht.
Um kurz vor 9 Uhr mache ich mich auf den Weg in die Berge. Vorerst muss aber noch der Stadtverkehr bewältigt werden, welcher an einem Montagmorgen ähnlich chaotisch und stressig ist wie in der Schweiz. Nur natürlich noch etwas mehr chaotischer und stressiger, denn schliesslich ist hier drängeln, hupen und Verkehrsregeln missachten einiges üblicher. Mit dem Wind im Rücken geht es aber zügig aus der Stadt raus und auf in den ersten Hügel auf welchem ich zuerst einmal das leckere Brot vom Bäcker geniesse – Frühstück! Auf mehr oder weniger guten Strassen geht es dann durch Hügel, Wälder und unzählige Kieswerke welche teilweise ganze Berge versetzen. Dann setzt auf einmal Regen ein! Unglaublich! Den letzten Regen hatte ich in Rumänien, genoss damals aber gerade einen Ruhetag in einem massiven Haus. Das letzte Mal Regen während dem radfahren hatte ich kurz nach Budapest – also vor über 1.5 Monaten! Schon fast freudig über dieses seltene Ereignis streife ich mir die Regenjacke und Regenhose über und tausche die Sneakers gegen Flipflops, nur um 30min später wieder die anderen Sachen anzuziehen. Der Regen dauerte gerade mal knappe 5 Minuten…
Die Landstrasse führt über einen letzten Pass, bevor diese dann in die grosse D200 einmündet und somit auch der Verkehr drastisch zunimmt. Auf der D200 werde ich ganze 300km nun unterwegs sein, bevor ich diese dann in Polatli wieder verlassen werde. Der Strassenbelag ist super und mit Rückenwind fliege ich regelrecht über den Asphalt. Nur der Verkehr und die vielen toten Tiere am Strassenrand oder auf dem Pannenstreifen (meine Spur) nerven resp. stinken etwas. Dafür purzeln die Kilometer auf dem Tacho und schon bald lasse ich Inegöl hinter mir. Zeit für eine Mittagspause also und somit halte ich auf einer Raststätte an. Obwohl das Essen relativ günstig ist, koche ich mir selber etwas zu essen. Somit habe ich auch gleich etwas zum Abendessen, da ich auch an diesem Tag noch nicht weiss wo der Schlafplatz sein wird. An einem Gemüsestand am Strassenrand werden noch kurz überfrische Tomaten und Peperoni gekauft und so steht einem gesunden und frischen Mittagessen nichts mehr im Weg. Nach ein paar Stunden in der Hängematte fahre ich weiter und somit wieder in die Hügel, denn vor mir liegen Pässe mit über 1000hm. Chocolate rollte mit ziemlich schnellen 18km/h den Hügel hoch (dem Rückenwind sei Dank) und am Strassenrand tun sich unzählige Möglichkeiten zum wildcampen auf. Viele Tankstellen und Restaurants mit Bäumen würden sich super zum Zelten eignen, jedoch mögen meine Beine noch etwas mehr weswegen ich immer weiter den Berg hinauf presche. Nach wenigen Minuten bereue ich meine Entscheidung, da auf einmal keine Tankstellen oder Restaurants mehr kommen, und auch die Bäume haben sich alle mehr oder weniger verabschiedet. Dafür ist die Strasse nun um einige Prozent steiler und der Rückenwind hat auch abgegeben. Völlig übermüdet erreiche ich endlich die Passhöhe und geniesse endlich die rasante Fahrt ins nächste Tal. Es ist schon spät und so langsam aber sicher muss ein Schlafplatz her. Bei der nächsten Raststätte gehe ich Cay trinken und frage ganz nebenbei den Kellner ob er vielleicht noch ein Plätzchen auf der Wiese für ein Zelt frei hat. Prinzipiell wäre alles kein Problem, er hat jedoch keine Wiese… okay, dann halt eben weiterfahren. Nach weiteren 6km erreiche ich ein kleines Einkaufsparadies mit tausenden von Shops, Starbucks, McDonalds, Burger King und alles was der Westen sonst noch so zu bieten hat, inklusive zwei Tankstellen. Diese haben jedoch auch keine Wiesen und so zieht eine etwas grössere Halle mit grossem Parkplatz die Aufmerksamkeit auf mich. Ich rolle über den Parkplatz, finde jedoch auch nirgendswo eine Wiese, und da das Zelt nicht selbststehend ist, kann ich es auch nicht einfach auf dem Parkplatz aufbauen. Nur ein einziges Auto steht auf dem grossen Platz und aus diesem steigt plötzlich eine junge Frau auf. In perfektem Englisch fragt sie mich nach meinem Vorhaben und ich erkläre ihr, dass ich eigentlich nur eine Wiese zum Übernachten benötige. Ihr Vater steht auch auf einmal neben mir und zu meinem Erstaunen spricht er Deutsch! Er ist der Inhaber von dem grossen Gebäude, welches sich nun als Hochzeitssaal und überdachter Fussballplatz herausstellt. Eigentlich ein ziemlich gutes Konzept denke ich mir.
Eine Wiese gibt es nicht, er bietet mir aber einen Platz in der angebauten Moschee an – natürlich nur wenn ich vorher die Schuhe ausziehe! Dankend nehme ich das Angebot an, und kurz darauf beziehe ich (schuhlos) meine neue und etwas spezielle Bleibe. Die Luftmatratze platziere ich dabei so, dass der Gebetsteppich nicht berührt wird, und die Familie Turhanlar bringt mir sogar noch einen Tee vorbei. Die Dusche vom Fussballplatz darf ich auch benutzen und so gibt es noch eine warme Dusche nach diesem anstrengenden Tag. Das Highlight ist allerdings das Fussballspiel, welches noch heute Abend stattfindet und so geniesse ich den Abend bei Cay und Fussball und lerne viele neue Leute kennen. Die Kommunikation läuft meistens mit Händen und Füssen, klappt jedoch wie immer einwandfrei und so geniesse ich einen Abend mit vielen netten Menschen bevor ich in der Moschee endlich meinen wohlverdienten Schlaf finde.