Die Luftmatratze und den Schlafsack sind schnell verpackt und so verlasse ich früh meinen Schlafplatz in der Moschee. Weiter geht’s über die D200 in Richtung Osten. Der Wind ist noch immer auf meiner Seite und der Stundenkilometer-Durchschnitt steigt und steigt obwohl sich meine Beine wie Blei anfühlen nach dem anstrengenden Vortag. Heute werde ich auf jeden Fall Eskişehir erreichen, die grünste und westlichste Stadt der Türkei. So steht’s zumindest im Lonely Planet Reiseführer.
Und tatsächlich rolle ich wenige Stunden später durch eine Stadt mit Einkaufszonen, Parks und sauberen Strassen. Die osmanische Altstadt verzückt durch ihre alten Holzbauten und in den Parks scheint die Welt noch in Ordnung zu sein. Also der richtige Ort für eine Mittagspause. So steuere ich einen etwas grösseren Park an, werde jedoch mit dem Fahrrad nicht reingelassen. Ohne Fahrrad gehe ich nirgendswohin, und so baue ich die Hängematte halt eben am Flussufer auf. Nach ausgiebiger Ruhezeit fahre ich weiter nach Osten aus der Stadt raus und halte dabei Ausschau nach einem geeigneten Schlafplatz. Irgendwo weiter östlich muss ein grosser Picknick-Platz mit Stausee sein und davor gibt es noch einige Tankstellen. Bei der ersten Tankstelle ist man ganz fröhlich über den komischen bärtigen Radfahrer und man bietet mir ohne nachzufragen einen Platz auf der Wiese neben dem Gebäude an. Jedoch möchte ich auch unbedingt noch den Picknick-Platz auskundschaften, da dieser etwas mehr Ruhe von dem Verkehr verspricht. Der Platz sieht aus wie ein Campingplatz, jedoch nur ohne Zelte oder Wohnmobile. Dafür mit unzähligen Feuerstellen, Tischen und Bänken, flache Wiesen und viele Bäume. Also schnell rein und einen Offiziellen um Erlaubnis fragen. Ein grosses Schild in türkischer Sprache verheisst jedoch nichts Gutes. Der Google Translator spuckt klar und deutlich den Satz „geschlossen ab 24:00 Uhr“ aus. Okay, jetzt nicht verzweifeln, sondern erst mal die Parkwächter fragen. Diese sitze in einer Dreiergruppe gemütlich vor ihrer Hütte und nach meinem Winken steht dann auch tatsächlich einer auf und bewegt sich langsam zu mir hin. Da er kein Englisch spricht, deutet er mir ihm zu folgen worauf wir durch den Park zu einer abgelegenen Hütte gehen. Der Mann dort spricht etwas englisch, worauf ich ihm mein Vorhaben erkläre. Er übersetzt dies dann für den Parkwächter und nach ein paar Telefonaten mit den Vorgesetzten darf ich dann tatsächlich über Nacht bleiben – und werde sogar noch mitbewacht! Wenn das mal kein Glücksgriff ist J Die perfekte Ausstattung vom Park nutze ich gleich fürs kochen und abwaschen. Zudem muss ich noch unbedingt das Interview mit den Wiler Nachrichten ausfüllen und zurückschicken.
Nach einer entspannten Nacht (ich wurde ja von den Parkwächtern mit beschützt), öffne ich den Reissverschluss vom Zelt und blicke gleich einem Parkwächter in die Augen, welcher mich nun völlig verdutzt anschaut. Ein freundliches „good morning“ meinerseits zaubert ihm aber ein Lächeln ins Gesicht und kurz darauf bringt er mir sogar noch einen Cay zum Zelt. So kann doch mal ein Tag beginnen! Also ab auf die Strasse und weiter in Richtung Osten!
Die D200 wird auch nach dem 200ersten Kilometer nicht wirklich langweilig. Das Panorama ändert sich ständig. War am Anfang noch alles grün, war es zwischenzeitlich ziemlich bergig und nun verändert sich alles zu einer Wüste. Die Gegend neben der Strasse ist trocken und Tod – genauso wie die vielen Tiere auf dem Pannenstreifen. Noch immer geht es in regelmässigen Abständen ein paar Höhenmeter weiter hoch und dies macht sich nun auch bei der Temperatur bemerkbar welche nun die 27 Grad-Marke nicht mehr übersteigt. Super Wetter also zum radfahren.
Zahlreiche Autofahrer hupen wenn sie mich sehen und winken freundlich. Ich winke natürlich wie immer freundlich zurück, oder mache auch mal ein Foto mit den Leuten falls sie das wünschen. Keine Ahnung in wie vielen Fotoalben ich mittlerweile vorkomme, aber bestimmt nicht gerade wenige. Als auf der gegenüberliegenden Strassenseite die Polizei hupt, winke ich auch denen freundlich zurück. Wenige Minuten später halten diese mich dann allerdings an, wobei ich mir noch denke dass sie wahrscheinlich auch ein Foto machen möchten. Die Fotokamera wird dann auch tatsächlich gezückt – allerdings meine eigene. Die Polizisten haben keine Lust Fotos zu machen, sondern diese zu kontrollieren. Anscheinend wird irgendwo irgendwas Geheimes gebaut, und nun gehen sie davon aus dass ich ein Spion sein könnte und Fotos davon gemacht habe. Ich tippe auf die riesige Pipeline, welche von der Polizei stark bewacht wird. Da ich ganz genau weiss welche Fotos sich auf der Kamera befinden, und mehr als 95% der Fotos auf der externen Festplatte in meiner Tasche schlummern, warte ich entspannt bis die Polizisten alle Fotos inspiziert haben. Die GoPro-Kamera welche auf dem Lenker befestigt ist, wird dabei überhaupt nicht beachtet… etwas laienhaft, aber mir soll’s recht sein. Dann noch die obligatorische Passkontrolle, und nachdem ich ihnen gezeigt habe welches der türkische Einreisestempel ist, lassen sie mich weiterziehen.
In der nächsten Stadt muss eine Übernachtungsmöglichkeit her, da meine Beine einfach nicht mehr weiterwollen. Eine Tankstelle mit Restaurant und Hochzeitssaal stellt sich einmal mehr als Glücksgriff heraus. Cemil begrüsst mich herzlich auf Englisch und bietet mir sogleich ein Bett auf der Couch in seinem Hochzeitssaal an. Seine Kochkünste zeigt er mir dann wenig später beim Abendessen und ich geniesse einen köstlichen türkischen Kebab. Nach einer entspannten Nacht auf der Couch gibt es dann sogar noch ein super Frühstück und so fahre ich gestärkt zurück auf die D200.
Das heutige Tagesziel ist Polatli, kurz vor der Hauptstadt Ankara (in welche ich aber nicht fahren werde). Die Strecke beginnt mit einer Steigung von etwas 3km, auf welche dann aber endlich mal wieder eine lange Abfahrt folgt. Ansonsten verläuft die Strecke ziemlich unspektakulär bis Polatli und dort angekommen entscheide ich mich dass es mal wieder Zeit wird für ein richtiges Bett in einem richtigen Hotelzimmer. Beim örtlichen Supermarkt mache ich es mir auf einer Bank bequem und suche eine passende Unterkunft. Währenddessen kommen völlig verwahrloste Kinder zu mir und bewundern mein Rad. Ich biete einem Mädchen ein paar Kekse an, worauf diese gleich die ganze Packung an sich nehmen möchte. Tssss so geht das nicht und ich versuche ihr verständlich zu machen, dass sie nur ein Keks rausnehmen darf. Kindererziehung mit Händen und Füssen. Über eine Booking-Plattform werde ich fündig, schenke die restlichen Kekse den Kindern und beziehe kurz darauf ein Einzelzimmer mit eigenem Bad und bequemen King Size Bett. Die Stadt selber ist keinen Besuch wert. Hier gibt es nichts zu sehen und genau das ist mir recht. So kann ich mit gutem Gewissen die Welt raussperren, die Fenster schliessen und mich nur dem Buch und Computer widmen. Manchmal braucht man auch einfach etwas Ruhe von dem ganzen Trubel da draussen – und dieser wird stündlich lauter und lauter.
Eine Demonstration bahnt sich ihren Weg durch die Gassen und ich verstehe mal wieder kein Wort. Geht es um den Putsch, um Gott oder um was denn eigentlich? Das Schauspiel ist aber auf jeden Fall interessant und auf dem grossen Platz direkt vor meinem Hotel machen es sich die Leute nun gemütlich. Sieht nach einer langen Nacht aus… und genau so wird es dann auch. Laute türkische Volksmusik gepaart mit langen und für mich unverständlichen Reden. Dazwischen wird es mal immer wieder ruhig, da die Moschee zum Gebet aufruft. Über 600 Menschen die auf einem öffentlichen Platz beten ist ein ganz besonders eindrückliches Erlebnis. Irgendwann so gegen 01:00 Uhr wird es dann trotzdem ruhig und ich kann die Nacht im bequemen Bett doch noch geniessen. Morgen verlasse ich die D200 und fahre über ländliches Gebiet nach Haymana und alles weiter in Richtung Kappadokien!